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vismus der modernen Wissenschaft“183 ebenso präsent scheint wie subtiler um
sich greifende Askese- und Sublimierungstechniken184, neusachliches Ingeni-
eurs-Denken185 und Formen einer speziellen archaischen „Mitgift“186, die sich
unter anderem von Friedrich Nietzsche und dem „biologistischen Pathos des
19. Jahrhunderts“187 herschreibt, in dem der „Raubtiernatur des Menschen eu-
phorische Schätzung“188 zukommt. Der geistige Horizont in der Zeit der Wei-
marer Republik spiegelt sich also durchaus – wenn, wie oben bereits gezeigt,
auch nur als flüchtiger Schemen des Modernen – im trivialliterarischen Bild des
Boxens, in dem Trainingsarbeit, Selbstzüchtigung und die Fähigkeit, Gefahren
realistisch einzuschätzen, zusammenfallen. Drei Zugänge zur trivialliterarischen
Körperdurchformung – denen es allesamt an diskursiven Dynamiken mangelt
– lassen sich ausmachen: das wissenschaftliche, das disziplinierte und das aske-
tische Training.
Trainingsprogramme: Plansolls, Härtezwänge, Askesegebote
Der erste Zugang fĂĽhrt ĂĽber die Vorstellung, dass sich Wehrhaftigkeit und Wi-
derstandskraft des Boxers steigern lassen, indem dieser „wissenschaftlich“189 trai-
niere; Boxschulen und ein arrangiertes, auf manifeste Reaktionsbildung abzielen-
des Trainingsprogramm sollen unterstützend wirken190: „Gerade das gibt Kraft,
dieses genaue Einhalten der Regeln. Was glauben Sie, wenn ich heute so und
morgen so trainieren wollte?“191 Das Ernährungsprogramm unterliegt gleichfalls
rigoroser Reglementierung: „Er durfte nichts mehr und nichts weniger essen,
und Tag und Nacht war jemand bei ihm, der darauf zu achten hatte, daĂź er nichts
im geheimen zu sich nahm.“192 Die Kontrolle scheint allumfassend: „Und hier ist
das Allerwichtigste, die Wage [sic]“193, mahnt der Trainer in Das Erwachen des
Donald Westhof den Sportler. „Denn an deinem Gewicht – an den lumpigen zehn
Pfund, die du zunehmen mußt – hängen Millionen – hängt deine Zukunft, mein
183 Gay 1987, S. 76
184 Vgl. Sontheimer 1978, S. 41f
185 Vgl. Lindner 1994, S. 184f
186 MĂĽller 2004, S. 117
187 Ebd.
188 Ebd.
189 Witte 1939, S. 61
190 Vgl. Schievelkamp 1920, S. 66 u. 70f; Hollaender 1927, S. 270f
191 Hellwig 1931, S. 96
192 Nohara o. J., S. 46
193 Hollaender 1927, S. 270
138 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440