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Nach 1918
FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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zu zerbrechen drohen.208 Boxen wird deshalb als ein Relais geschaltet, das die Diskrepanz zwischen Innerem und Äußerem der problematisch gewordenen Ich-Identitäten abbilden und in letzter Konsequenz einen soll. „Ob Rhythmus, ob Droge, ob das moderne autogene Training“, fordert Gottfried Benn noch 1943 im Essay Provoziertes Leben, „es ist das uralte Menschheitsverlangen nach Überwindung unerträglich gewordener Spannungen, solcher zwischen Außen und Innen, zwischen Gott und Nicht-Gott, zwischen Ich und Wirklichkeit – und die alte und neue Menschheitserfahrung, über diese Überwindung zu ver- fügen“209. Boxern wird ein Übermaß an Effizienz und Energie, Entfaltungsmöglichkeit und Enthemmungspotenzial konzediert. Der Tendenz, Boxsport und Boxper- sonal ein Maximum an symbolischer und allegorischer Bedeutung zuzuordnen, tritt die elaboriertere Literatur in dem Versuch, die Vorstellungen vom Boxen als Lebenskampf sowie Trainings- und Maschinenglorifizierung zu perpetuieren, radikal entgegen. „Als ich allein durch die Straßen trieb wie ein Blatt im Herbst- wind, wehte es mich in eine Ecke vor eine Plakatwand“210, lässt Klabund in Der Boxer einen Flaneur die Ankündigung für einen Großkampftag völlig unerwar- tet entdecken. Boxen als ein von Moden und Medien diktiertes Phänomen wird hier wieder den Zufälligkeiten und Wechselfällen des Lebens untergeordnet; Boxen als ein weiteres Kuriosum im Weimarer Sprühregen an Zerstreuung und Unterhaltung wird auf Werbewänden nur mehr akzidentell ausgemacht: „Der Entscheidungskampf um die Weltmeisterschaft, um die Weltherrschaft“211, ver- kündet die Affiche so reißerisch wie wirkungslos. „Versäume niemand, der welt- geschichtlichen Entscheidung beizuwohnen.“212 Der Traum vom Boxen scheint auch in Alfred Polgars Miniatur Der Eremit ausgeträumt. Ein Ich-Erzähler be- sucht darin einen Einsiedler, um diesen mit der Frage zu konfrontieren, wie man glücklich werde.213 Die Antwort überrascht den Suchenden: „Der Greis lächelte. ,Oh, mein Sohn, das ist das einfachste von der Welt.‘“214 Wünschest du, ewig zu leben? Nein. Wünschest du dir, Weltmeister im Boxen zu sein oder Filmdiva oder Feldherr? Du wünschest dir das nicht, weil kein vernünf- tiges Wesen Wünsche hegt, die es als unerfüllbar erkennt. Es handelt sich also nur darum, einzusehen, daß du nicht glücklich werden kannst, damit du auch aufhörst, 208 Vgl. Lindner 1994, S. 9f 209 Benn 1968, S. S. 901f 210 Klabund 1922, S. 127 211 Ebd. 212 Ebd. 213 Vgl. Polar 2004a, S. 146f 214 Vgl. ebd., S. 147 195 Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur |
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FAUST UND GEIST Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Title
FAUST UND GEIST
Subtitle
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Author
Wolfgang Paterno
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20545-6
Size
16.1 x 25.5 cm
Pages
446
Keywords
Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Grundlagen 15
  2. Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
  3. Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
  4. Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
  5. Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
  6. Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
  7. Ringfeldsichtung 113
  8. Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
  9. Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
  10. „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
  11. Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
  12. ZUSAMMENFASSUNG 389
  13. ANHANG
  14. Bibliografie 402
  15. Bildnachweis 438
  16. Dank 439
  17. Namensregister 440
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