Page - 208 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Trainingstortur in Der Boxer; Diätpläne in Schwergewicht oder Die Ehre der Nation
Die Durchsicht des Textkorpus nach den spezifischen Implikationen der Trai-
ningspraxis zeigt, dass jene Autoren, die sich dem Verhältnis von Literatur
und Sporteuphorie differenziert widmen, das Gewaltsame und Inhumane der
Boxsportübungen eingehend registrieren – auf Grundlage der erweiterten dis-
kursiven Möglichkeitsbedingungen, die sowohl soziale Praktiken als auch ein
Regime des Wissens umfassen. „Ich kam zu dem Türken Sadi in die Lehre“,
referiert der Boxer Joseph in Klabunds Der Boxer, „ein Meister seines Faches,
aber ein Schwein. Und Schwein ist noch zu wenig gesagt. Er hat mich halb zu
Tode geprügelt.“304 Bald darauf schlägt das Training in schiere Selbstbezwin-
gung um und bereitet Joseph peinigende Ich-Erlebnisse, angefacht durch die
Drillmethoden des Trainers:
Einmal, als ich zehnmal den Herzstoß probierte und er mir immer noch nicht
nach seinem Wunsch gelingen wollte, boxte er mich in die Augen, daß ich sie beide
nicht mehr aufschlagen konnte, danach gab er mir seinen berühmten Magenstoß,
daß ich umfiel und wie ein Klotz liegen blieb.305
Mit deutlich abwinkender Handbewegung wenden sich die Autoren auch gegen
die in der Trivialliteratur beschworenen Trainingsplanspiele, gegen das Forcie-
ren von Diätetik, Askese, Kasteiung. „Jetzt sitzen sie wieder beisammen und
fressen, was ihnen schmeckt, und ich, der Mann, muß zuschau’n“306, lärmt Och-
senschwanz mit Blick auf das Frühstücksbuffet: „Verdammte Diät.“307 Dem Bo-
xer ist eine „genau geregelte Diät“308 auferlegt, „Speisen oder Getränke werden
vor dem Genuß mit einer Art Fieberthermometer gemessen“309; in Erich Käst-
ners Boxer unter sich setzt sich die Schonkost für den Sportler gar aus „Kartoffeln
und Gurken“310 zusammen. Die Menüfolgen sind in Wie schreibt man über einen
Boxer? wiederum im Detail geregelt und von ironischen Wendungen bestimmt.
„Der vorgeschriebenen Diät gemäß hält er sich von Schiffszwieback, eingelegten
Bananen, Schildkröteneiern und rohem Knoblauch fern; Himbeerwasser und
Renntiermilch sind auf seinem Tisch verpönt.“311 Verstöße gegen das Kostgebot
304 Klabund 1998, S. 299
305 Ebd.
306 Krenek 1974, S. 173
307 Ebd.
308 Ebd., S. 175
309 Ebd.
310 Kästner 1998a, S. 172
311 Kuh 1963, S. 72
208 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440