Page - 228 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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telltrĂ€gerâ454 aussendet, nĂ€mlich BreitenstrĂ€tters einstigen Rivalen auf Erden,
âOnkel Paul Samson Körnerâ455, und âOnkel Rudolf BlĂŒmnerâ456. Im Paradies
wimmelt es von VerrĂŒckten; der neu angekommene Boxer BreitenstrĂ€tter blickt,
ganz magisches Kind, in die Welt der lang gedienten Cherubim â und entdeckt
reihum Masken des Wahnsinns. Boxen wird in MerfĂŒsermĂ€r mit ĂŒberspannten
Mystizismen konfrontiert; Demaskierung und Desillusionierung sind die Fol-
gen. Die Gehilfen der Duellanten beten ein âkurzes Menetekelâ457, raunen die
Begriffe âAngolainaâ458 sowie âUpharsiâ459 und beraten ĂŒber die Ă€uĂere Form der
Fehde: ââIch schlage schwere SĂ€bel mit halber Bandage vor.â âNeinâ, sagte Onkel
Gustav, âich meine eine Nacktpartie.ââ460 Paul Samson Körner kommt die zĂŒn-
dende Idee: âIch schlage boxen vor!â461 Die weitere literarische AusfĂŒhrung der
dem literarisierten Boxen hÀufig einprogrammierten Topoi Trainingsmarter und
Ringfehde verweigert der Autor in MerfĂŒsermĂ€r: âHans BreitenstrĂ€tter erhielt 14
Tage Zeit, um Boxen zu lernen.â462 Unter Schwitters Regie wird Boxen in Zei-
ten des Boxsportbooms zur buchstÀblich letzten Option. Boxen, die öffentlich-
keitswirksame Inszenierung von Sport- und Bewegungskultur, hÀlt als geselliges
VergnĂŒgen nur mehr wenig Reiz bereit. Die Betrachtungen zu Boxsport-Fana-
tismus und Boxer-Fetischismus enden in MerfĂŒsermĂ€r abrupt: âHertha aber sah
inaktiv zu, womit wir dieses MĂ€rchen beschlieĂen wollen.â463 Schwitters scheut
in diesem Bestiarium zeitgenössischer Charakterfiguren jedoch keineswegs die
Vielschichtigkeit des SportphĂ€nomens; zur Kenntlichmachung und BloĂstel-
lung des Heroenkults dreht er Interpretation und Bewertung des Boxens mit
Eifer ĂŒber den Anschlag hinaus. Das Kunstwort âAngolainaâ eröffnet, wie dar-
gestellt, die Verhandlungen der Sekundanten fĂŒr den Boxkampf zwischen Brei-
tenstrÀtter und Röhl. Schwitters zitiert an dieser Stelle den Titel eines Gedichts
des Breslauer Autors Rudolf BlĂŒmner, das aus rein phonetischem Sprachma-
terial bestehende Ango laĂŻna464. Mit Hilfe von Unsinnspoesie und Sprachspie-
lerei wird die Gravitas des Boxens spielerisch unterlaufen. Die Wortbildung
âUpharsiâ wiederum nimmt möglicherweise offen Bezug auf ein Bibelzitat. Der
454 Ebd., S. 146
455 Ebd.
456 Ebd.; Rudolf BlĂŒmner (1873â1945), deutscher Schauspieler und Autor
457 Ebd.
458 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
459 Ebd.
460 Ebd.
461 Ebd.
462 Ebd.
463 Ebd.
464 Vgl. BlĂŒmner 1978, S. 215ff
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II.ï»ż
Imï»ż
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂŒberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂŒckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und NebenschauplÀtze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten ErzÀhlliteratur 160
- âZeitfigurâ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440