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stehen mehrere boxliterarische Arbeiten, wohl auch angeregt durch Elisabeth
Hauptmann und deren Übersetzung eines US-amerikanischen Boxer-Theater-
stücks ins Deutsche.6 Um 1929 arbeitet Brecht am Drama Der Brotladen, in
dem der Zeitungsjunge Washington Meyer mit den Fäusten um das ihm zuste-
hende Geld kämpft; der fragmentarische Charakter des Stücks kündigt zugleich
das Ende jener Arbeitsphase an, die von Boxen als Gegenstand der Brechtschen
Prosa und Dramatik intensiv geprägt war; als Thema am Rand wird der Stoff
den Autor noch länger beschäftigen.
Das boxsportliche Milieu entfaltet für Brecht früh Faszinationspotenzial. Er
besucht die Großkampftage im Berliner Sportpalast und animiert Schriftstel-
lerkollegen zum Besuch von Boxkämpfen7; der Drehbuchautor Emil Burri hat
die „große Nummer bei Brecht, weil er im Boxring als Helfer arbeitete, bei Sam-
son Körner nämlich, ihm mit Tüchern die Luft zuschwenkte, ihn mit Wasser
bespritzte“8. Brechts Begeisterung für den kulturellen Raum des Boxens bleibt
öffentlich nicht lange unbemerkt und produziert in rascher Folge wechselnde
Kommentare: „Brechts Deutsch ist die Stimme der Zeit, von einer enormen
Sachlichkeit und Sinnfälligkeit, von einer wilden, fanatischen Präzision“9, staunt
etwa Lion Feuchtwanger in seiner Hommage Bertolt Brecht. „Wie da jedes Wort
Muskel und Atem hat, gerad’ aus dem Heut’ herausgesprungen, grad’ aus dem
Blut des Dichters erzeugt, kein Wechselbalg aus Mode und Makulatur. Und wie
ohne Macherei das alles, wie straff, sehnig, selbstverständlich blühend.“10 Mit
wachem Gespür für die Verstärkerwirkung von Zeitung und Radio ist wiede-
rum Brecht voll des Lobs für die Figur des Kraftprotzes: „Samson-Körner ist
ein großartiger und bedeutsamer Typus. […] Es ist schlechthin unnachahmlich,
wie Samson-Körner beispielsweise eine einfache Fahrkarte in seiner Tasche ver-
staut. Darum ist er auch ein ganz beträchtlicher Filmschauspieler.“11 Brechts
Umgang mit Boxsportlern, schwärmt George Grosz in Ein kleines JA und ein
großes NEIN, „erfrischte ihn und gab seinen Gedanken oft eine unliterarische
Originalität“12. Den angedeuteten Verabsolutierungstendenzen des Boxens in
Brechts Biografie und der damit einhergehenden „Textstrategie“13 sollte indes
durchweg mit Misstrauen begegnet werden: Brechts Boxbegeisterung ist immer
6 Vgl. Berg 1993, S. 23; Mittenzwei 1987a, S. 235
7 Vgl. Extra 2006, S. 194; Fleißer 1989b, S. 479; Kohtes 1999, S. 66
8 Fleißer 1989b, S. 479; Emil Burri [früher Emil Hesse] (1902–1966), deutscher Schriftsteller,
vgl. dazu Berg 1995, S. 139; Kohtes 1999, S. 64; Müller 1980, S. 75ff
9 Feuchtwanger 1980, S. 425
10 Klemm 1998
11 Guillemin 1975, S. 190
12 Grosz 2009, S. 228
13 Todorow 2003, S. 303
238 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440