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Ergebnis von Meinkes Duell: „Er wurde in der zweiten Runde k. o. geschlagen.
Hatten Sie etwas anderes erwartet?“282 So kommentiert der Erzähler spöttisch
den symbolischen Kursverfall des Boxens auf dem nervösen Weimarer Kapital-
markt des Existenziellen.
Panoramablick auf das Boxen: Diskursoffenheit
In seinen Schriften legt Brecht das Boxen als eine diskursoffene Kampfsportart
mit sozialpolitischen und ökonomischen Echoeffekten an; dem Sport im Ring
eröffnet der Autor zusätzliche Dimensionen. In Brechts boxliterarischen Texten
spiegeln sich, wie bereits oben erwähnt, spezifische Segmente des Weimarer Le-
bensgefühls, offen sichtbare wie verborgene. Im Boxen mit seinen „überschauba-
re[n] Kampfformen“283 schimmern auch stets die „verdeckten, aber rüden Regeln
der kapitalistischen Gesellschaft“284 durch: „Den höchsten Kurswert hat der bru-
talste und primitivste Sport, der Faustkampf“285, hält Helmut Wagner in Sport
und Arbeitersport fest. „In ihm verdichtet sich die kapitalistische Sportauffassung
und Sportgesinnung zum Abbild der kapitalistischen Welt überhaupt: Mann
gegen Mann, Faust gegen Faust.“286 Boxen als artistische Darbietung bildet
also einen zentralen „Ausgangspunkt des kapitalistischen Zuschauersports“287.
Brecht treibt diesen Aspekt bis zum äußersten Punkt voran. Freddy Meinkes
Aufstiegs- und Untergangsgeschichte scheint beispielsweise von klassenkämp-
ferischen Konkreta bestimmt. Jan Knopf hält im Brecht-Handbuch fest:
Freddys Niedergang beginnt in dem Moment, wo er sich nicht mehr auf den
Kampf konzentriert, sondern sich eine bürgerliche Existenz zuzulegen sucht. In-
dem sich Freddy im Bürgertum einrichtet, unterwirft er sich der gängigen Nivel-
lierung, ist die konzentrierte Kraft der allgemeinen Verflachung des Alltäglichen
ausgesetzt. Was sich unmittelbar vor dem Kampf – Freddy will unbedingt ein Bier
trinken, was ihm sein Manager verbietet – in einer scheinbaren Nebensächlichkeit
offenbart, ist nur die Bewusstwerdung dessen, was schon vorbereitet ist:
ein richti-
ger Kämpfer und Boxer kann keine bürgerliche Existenz führen.288
282 Ebd.
283 Knopf 1996b, S. 67
284 Ebd.
285 Wagner 1973, S. 117
286 Ebd.
287 Ebd., S. 119
288 Knopf 1996b, S. 247
274 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440