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soviel Sums“350 mache. „In einer Stunde sollte die Sache steigen“351, verkündet
darauf der Erzähler in der Art eines showgemäßen Countdowns den avisierten
Auftakt von Meinkes Meisterschaftsgefecht – dessen Beginn durch den Besuch
der Spelunke gleichsam unterbunden wird:
Es war natĂĽrlich falsch, sich hier hereinzusetzen. Sie sehen ja, wie rauchig und
dumpf diese Budike ist, aber Freddy hatte Lust dazu, und er hielt gar nichts von
Leuten, die ihrer Lunge wegen auf jedes Märzlüftchen aufpassen mußten. Kurz
und gut, wir saßen da in einem Dunst, durch den man mit einer Dampfsäge nicht
gekommen wäre.352
Meinke bewährt sich nicht als Boxer im Ring. Er verrennt sich geradezu in
Alkohol- und Gedankennebeln, im Dämmerlicht der Säuferschenke. „Freddy
bekam Lust, ein Glas Bier zu trinken. Er rief auch tatsächlich den Ober.“353
Einspruch dagegen erhebt allein Meinkes Manager Kampe, der mit Freddy am
Tisch der Kellerei sitzt. Kampe „sagte energisch, das sei heller Wahnsinn, jetzt
vor dem Kampf;Â
er könne eher Schuhnägel essen als Bier trinken.“354 Vor Mein-
kes Meisterschaftsduell findet „ein innerer Kampf“355 statt, den Brecht wie eine
schwer übersetzbare Hieroglyphe wirken lässt:
Freddy murmelte „Unsinn“, ließ aber den Ober wieder weggehen. […] Freddy las
in einem Abendblatt. Ich hatte den Eindruck, daĂź er hinter seinem Anzeigenteil
sich immer noch mit dem Bier beschäftigte, genauer gesagt, mit seinem Wunsch
nach Bier.356
Wenig später lässt das Verlangen nach Zigaretten Meinke zudem „entsetzlich
mürrisch“357 werden. Durch ein spezielles boxerisches Gegenprogramm, das
durch Alkohol und Rausch, weniger durch Athletik und Askese bestimmt ist,
demaskiert Brecht die neusachlich-sportliche Vernunftideologie. Der Erzähler
im Kinnhaken konstatiert, er „glaube“358, Meinke habe zu diesem Zeitpunkt den
Siegeswillen bereits verloren gehabt. An die Stelle einer auf Fakten basierenden
350 Ebd.
351 Ebd.
352 Ebd.
353 Ebd., S. 208
354 Ebd.
355 Extra 2006, S. 193
356 Brecht 1997a, S. 208
357 Ebd.
358 Vgl. ebd., S. 206
282 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440