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und einem weiteren, das komplexe Interdependenzgeflecht Ulrichs aus dem
Mann ohne Eigenschaften zum Faustsport darlegenden Unterpunkt, bevor Faust
und Geist in einer Zusammenfassung der Einzelalysen zu ihrem Ende kommt.
Schritt eins beleuchtet die Außendiskurse des Sportlichen bei Musil – Sport-
mode, Sportreligion, Sportarenen; Schritt zwei dringt in die Innendiskurse des
Sports vor, die, was beispielsweise den Körper und die Trainingsroutinen betrifft,
paradox von außen nach innen wirken; Schritt drei ist schließlich der Versuch,
Innen und Außen in einer psychotechnischen Synthese aufgehen zu lassen, und
zwar nicht in willkürlicher Methode, sondern im Gefolge von Musils vitalem
Denken über Boxen, mit Ulrich aus dem Mann ohne Eigenschaften als einem
beispielhaften Daseinssportler des modernen Lebens.
1.
Musil
und
der
zeitgenössische
Sportdiskurs
In der Notiz Die Akademie von Dünkelshausen, in der Musil in seinem Tagebuch die
Angliederung der Sektion für Dichtung in die Preußische Akademie der Künste
kritisiert21, entwirft der Autor von sich selbst das Porträt einer raumgreifenden
Persönlichkeit von autoritärem Ausdruck, der Zwanghaftes wie Fremdgesteuer-
tes implantiert scheint: „Muskulös, trainiert, aggressiv, aber dabei nervös, labil, zu
hysterischen Mechanismen geneigt.“22 Musil fügt spitz die Bemerkung an: „Ei-
gentlich, horribile dictu, mein eigener Typ.“23 Der knappe Dünkelshausen-Eintrag
reizt die Kulturwissenschaft bisweilen zu voreilig pathologischen Befunden: „Es
handelt sich bei Musils Theorie, sportliche Leistung gelinge nur bei Ausschal-
tung des Bewusstseins, um eine Unifikation, eine unzulässige Verallgemeinerung
eines Neurotikers.“24 Der nun folgende Abschnitt dient denn auch dazu, einer
Musil-Forschung, die ihre Schwerpunkte, offen oder verdeckt, auf vage Biografik
legt, einen Riegel vorzuschieben und dabei jene Tendenzen sichtbar werden zu
lassen, die allenfalls im „Vorfeld der Forschung“25 anzusiedeln sind. Im Gegensatz
zu Brechts Selbststilisierung als ein „Trendsetter“26 des Boxens, der mit medialer
Effizienz, zirzensischer Repräsentationsmöglichkeit und antibürgerlichem Sozi-
alprestige sein Spiel treibt, zeichnet sich Musils Hinwendung zum Faustkampf
durch reservierte Skepsis aus, sowohl in literarischer wie biografischer Hinsicht.27
21 Vgl. ebd., S. 677f
22 Ebd., S. 684
23 Ebd., S. 684
24 Baur 1980, S. 103
25 Heydebrand 1982, S. 3
26 Lindner 1994, S. 160
27 Die Wortsuche in der digitalen Klagenfurter Ausgabe im Bereich der „Lesetexte“ ergibt fol-
308 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440