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was „sehr begreiflich“191 sei: In Der Riese Agoag studiert der „Held dieser kleinen
Erzählung“192 nur den Sportteil, und „im Sportteil am eifrigsten die Boxnachrich-
ten und von den Boxnachrichten am liebsten die über Schwergewichte“193. Der
journalistischen Sportsprache gesteht Musil in ironischer Inversion „Schöpfungs-
kraft“194 zu; das Unglück, setzt er in Der Praterpreis fort, bestünde jedoch darin,
„daß die Dichter nicht Sport treiben und die Zeitungsberichterstatter über ihn
schreiben“195: „Ich will den Sportjournalisten (Berichterstattern) nicht nahetre-
ten, aber ich glaube nicht, daß viele unter ihnen von Sport etwas verstehn (wirk-
lich Sportsleute sind).“196 Musil entledigt die Berichterstatter ihrer Maskerade:
Mit „raschem Eifer“197 würden sich diese die „verschiedenen Stalljargons“198
aneignen, um mit „dieser Ausdrucksweise Weltgeschichte“199 zu schreiben; die
Reporter und Causeure verstünden sich als „Bahnbrecher neuen Geistes“200. Ein
zentraler Ausgangspunkt der Romankonzeption des Mann ohne Eigenschaften ist
ebenfalls Resultat medialer Vermittlung, von Musil in erhellenden Zusammen-
hang gestellt: Ein beiläufig rezipierter Zeitungsartikel, in dem „das Wort ,das ge-
niale Rennpferd‘“201 auftaucht, bringt Ulrich auf den Gedanken, sich ein „Jahr
Urlaub von seinem Leben“202 zu nehmen:
Der neue Geist fühlte sich noch nicht ganz sicher. Aber gerade da las Ulrich ir-
gendwo, wie eine vorverwehte Sommerreife, plötzlich das Wort „das geniale Renn-
pferd“. Es stand in einem Bericht über einen aufsehenerregenden Rennbahnerfolg,
und der Schreiber war sich der ganzen Größe des Einfalls vielleicht gar nicht be-
wußt gewesen, den ihm der Geist der Gemeinschaft in die Feder geschoben hatte.203
Die Umkehrung von – minimaler – Ursache (Zeitungslektüre) und existenziel-
ler Langzeitwirkung (Lebensurlaub) führt die absurd übersteigerte Wirkkraft
des Medialen exemplarisch vor Augen.
191 Ebd.
192 Musil 1978a, S. 531
193 Ebd.
194 Musil 1978b, S. 798
195 Ebd.
196 Ebd.
197 Ebd.
198 Ebd.
199 Ebd.
200 Ebd., S. 799
201 Musil 1989a, S. 44
202 Ebd., S. 47
203 Ebd., S. 44 327
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440