Page - 334 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Analyse der Geschehnisse im Ring diente wohl vorwiegend der Dechiffrierung
sportlicher Zeichen – heraus käme ein Befund, der im Großen und Ganzen
die schimmernden Verlockungen des Monetären im Boxsport mitthematisierte.
Musil aber richtet den Blick seiner Leser mithilfe seiner kritischen Ironie na-
hezu magnetgleich auf die Zuschauer, die in dem vom Autor aufgeworfenen
Rätsel zugleich als verbindliche Lösung genannt werden. Musil nimmt das Bo-
xen zu einem Anlass, die Verankerung des Menschen im Ökonomischen auf-
zuzeigen – gleichsam im authentischen Seelenspiegelblick. Er webt den von
der Boxathletik gebannten Adressatenkreis als weitere Koordinate in das dichte
Netz diskursiver, praktischer und institutioneller Kontexte. Der Erregungshys-
terie, die Boxen zu generieren imstande ist, nähert er sich mit entlarvendem
Spott. Sport sei, konstatiert der Autor in der Korrekturfassung von Durch die
Brille des Sports, eine „schöne Sache, aber kein rauschendes Bächlein“256. Musil
wird seine Schlüsse daraus ziehen, während die Zeitgenossen, überwältigt vom
Radau im Rundbau, benommen und sich die Augen reibend aus dem Dunkel
der Sportturnierplätzen in die Helle des Tages taumeln.
4.
Innenschau:
Geist,
Seele
und
Körper
Musils erweiterter Analyserahmen des Boxens lässt die komplementären Sche-
mata von Körper, Seele und Geist, die „unverbunden einander gegenüberste-
hen“257, zu einem eigentümlichen Konstrukt verschmelzen, bei dem, so der
Autor im Vortrag Über die Dummheit, der „Anteil des Kopfes am […] Boxen
immerhin als unscharf begrenzt gelten darf“258. Was den Sport zum Sport ma-
che, notiert er in Als Papa Tennis lernte, sei „nicht so sehr der Körper als der
Geist.“259 Im Mann ohne Eigenschaften erläutert er, dass es wahrlich einfach sei,
„Tatkraft zu haben“260, und „so schwierig, einen Tatsinn zu suchen!“261 Musils
Nachdenken über Boxen ruft Assoziationen hervor, die über den Ideenbinnen-
raum des Sports hinausweisen – und auf eine „Neuordnung der Beziehungen auf
dem Feld von Intellekt, Sinnlichkeit und Gefühl“262 zielen: „Musil plädiert für
eine Körperbewegung, die dem Menschen […] Erfahrung der eigensten inneren
256 Musil 1978ee, S. 1771
257 Baur 1976, S. 145
258 Musil 1978c, S. 1279
259 Musil 1978h, S. 687 (Hervorh. im Orig.)
260 Musil 1989a, S. 741
261 Ebd.
262 Gamper 1999, S. 140
334 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440