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Nährflüssigkeit.“273 In dem Vortrag Über die Dummheit teilt Musil noch 1937
resümierend mit, dass er den Begriff Denksport für „komisch“274 halte. Der po-
sitivistisch-dogmatisch dominierten Weltanschauung, die primär auf Körper-
liches baut, wird ein Riegel vorgeschoben. Der „Reiz solcher Philosophie“275
– nämlich den Menschen als „physiologische […] Maschine“276 zu betrachten
– liege keineswegs „in ihrer Wahrheit […], sondern in ihrem dämonischen,
pessimistischen, schaurig-intellektuellen Charakter“277, konterkariert Musil in
Die Amsel den Körperkult und das Kraftideal. Die Mehrzahl der Menschen,
hallt es im Mann ohne Eigenschaften wider, besitzen einen „verwahrlosten, von
Zufällen geformten und entstellten Körper, der zu ihrem Geist und Wesen in
fast keinen Beziehungen zu stehen scheint“278. Der Sport, fährt der Autor fort,
werde so förmlich greifbar, als „Gebilde der Massenseele körperlich, dramatisch,
man möchte in Erinnerung an mehr als zweifelhafte okkulte Phänomene sagen,
ideoplastisch“279: Sport avanciert zum Phänomen pseudowissenschaftlicher Pa-
rapsychologie. „Der Geist ist ins Leben verflochten wie in ein Rad, das er treibt
und von dem er gerädert wird“280, lässt Musil im Mann ohne Eigenschaften Ulrich
sagen. Körper und Geist werden nicht länger als scharf voneinander geschiedene
Systeme betrachtet; in ironisierter Melodramatik fragt Musil im Mann ohne Ei-
genschaften281: „Aber wenn Geist allein dasteht, als nacktes Hauptwort, kahl wie
ein Gespenst, dem man ein Leintuch borgen möchte, – wie ist es dann?“282 Der
Leib ist nicht nur nach Nietzsche eine „grosse Vernunft“283. Auch Musil kann
dieser Vorstellung einiges abgewinnen.
Pole von Faust und Geist: Ulrich boxt
Anne Fleigs Befund, dass sich Ulrichs in auffallend vielen Belangen von Boxen
bestimmte „Haltung zum Leben“284 durch ein spezifisches Spannungsverhältnis
273 Ebd.
274 Musil 1978c, S. 1289
275 Musil 1978d, S. 549
276 Ebd.
277 Ebd.
278 Musil 1989a, S. 285
279 Ebd.
280 Ebd., S. 1152
281 Zur Problematik des Erzähler-Standpunkts im Mann ohne Eigenschaften vgl. Mülder-Bach
2013, S. 26f
282 Musil 1989a, S. 152
283 Nietzsche 1999, S. 39
284 Fleig 2008, S. 26
336 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440