Page - 343 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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„gültig sollten sie sein. Endgültig, ohne das dauernd Vorläufige, das sie haben,
wenn der Mensch seinen Erlebnissen überlegen bleibt.“326
5.
Musils
Körperarrangements
Musil plädiert für eine Form von Körperlichkeit, die dem Menschen die „Erfah-
rung der […] inneren Natur“327 ermöglichen soll. Die „‚statischen‘ Kategorien
des Bewusstseins“328 erweitert er auf dem Umweg diskursiver Sortierungsvor-
gänge mit überraschender Schwerpunktsetzung: Der Körper wird bei Musil zum
„Refugium der […] Ich-Vergessenheit“329. Der Sport, so der Autor in Durch die
Brille des Sports, werde zu einem Instrument, um den „mystischen Bedürfnissen
des modernen Menschen“330 Genüge zu tun. Die Kunst des „Crawlens“331, die
Musil in Kunst und Moral des Crawlens mit Hilfe eines mathematisch widersin-
nigen „Paradoxon“332 – „a < c und b < d, und trotzdem a + b > c + d “333 – hinter-
sinnig als positivistische Erkenntnis darstellt, lässt sich auch auf die Fertigkeit
des Faustkämpfens übertragen: Erst die „Summe der Teile [erreicht] das Maxi-
mum möglicher Leistungskraft“334; auch beim Boxen entscheidet die individu-
elle körperliche Stilistik über Erfolg und Niederlage. Durch das „Verhalten zu
einem zweiten Wesen“335 kommen zudem „höhere geistige Vorgänge“ 336 mit ins
Spiel. Musil macht also auf den irritierenden Umstand aufmerksam, dass sich
das Ich nicht nur „aus unpersönlichen Quellen“337 speise, sondern sich darüber
hinaus in die „Anonymität des Körperorts“338 zurückziehe. „Das Wesen des Ich
leuchtet in den Erlebnissen des Sports aus dem Dunkel des Körpers empor, und
auch sonst leuchtet dabei allerhand Dunkles“339, erklärt er in Als Papa Tennis
326 Ebd.
327 Baur 1980, S. 110
328 Lindner 1994, S. 11
329 Müller 2004, S. 207; deshalb, fährt Hanns-Marcus Müller fort, falle es auch schwer, Musil „zum
Kronzeugen einer Rationalitätskritik am Beispiel des Körpers“ zu machen
330 Musil 1978e, S. 793
331 Musil 1978g, S. 694
332 Ebd.
333 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
334 Fleig 2008, S. 192
335 Musil 1978g, S. 697
336 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
337 Müller 2004, S. 124
338 Ebd.
339 Musil 1978h, S. 690; „Dieses Dunkle“, merkt Wolfgang Rothe in Sport und Literatur in den
zwanziger Jahren an, sei „nichts anderes als Musils ‚Niederes‘, die Entrückung, der ‚andere Zu-
stand‘.“ (Rothe 1981, S. 149) 343
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440