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Nach 1918
FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Papst hätte es keinen Luther gegeben und ohne die Heiden keinen Papst, darum ist es nicht von der Hand zu weisen, daß die tiefste Anlehnung des Menschen an seinen Mitmenschen in dessen Ablehnung besteht. Das dachte er natürlich nicht so ausführlich; aber er kannte diesen Zustand einer ungewissen, atmosphärischen Feindseligkeit, von dem in unserem Menschenalter die Luft voll ist, und wenn sich das einmal plötzlich in drei unbekannten, nachher wieder auf ewig verschwinden- den Männern zusammenzieht, um wie Donner und Blitz auszuschlagen, so ist das fast eine Erleichterung. Immerhin schien er doch angesichts dreier Strolche etwas zu viel gedacht zu haben.698 Der zeitgemäße Totalitätsanspruch des Sports schwindet zum bloßen Anlassfall für Ulrichs Reflexionen. Musil bezweifelt das im Publikumskollektiv realisierte Bild vom Fausthiebathleten als Augenblicksregenten von sportlich-drama- tischen Minuten. Der Autor bringt Boxen vielmehr als Möglichkeit vielfältig sinnlich-reflexiver Erfahrung ins Spiel. Das boxsportliche Kräftemessen dient nicht mehr allein der besseren Kenntlichmachung komplexer Wechselwirkun- gen von Körper und Geist, von Geistesgegenwart und Körperbeherrschung; es illustriert auch Ulrichs Sinnstiftungs- und Selbstvergewisserungsversuche, sein Streben nach Selbstbeweis und Selbstbewährung, die im Zucken des dezisiven Augenblicks aufgehoben scheinen. Im Boxen emanzipiert sich die im „Körper vorhandene Kraft […] vom Zugriff kontrollierender Geistesinstanzen“699; vor dem Hintergrund, so Musil, all der „Widersprüche, der Inkonsequenz und Un- vollkommenheit des Lebens“700 und dem „Leiden an der Relativität aller Werte, an der Pluralität widerspruchsvoller Ideen, an der Dissonanz des bewussten und des unterbewussten Erlebens“701, sehnt sich Ulrich nach dem „Erlebnis der fast völligen Entrückung oder Durchbrechung der bewußten Person“702. In der Fi- gur des Manns ohne Eigenschaften laufen die Diskursstränge Körper, Training, Ratio, Männlichkeit, Mystik und Psychotechnik in komplexer Ordnung zusam- men, die von Musil wie eine planvolle Unordnung markiert ist. Die Anordnung Boxen passt Musil aber weder in das Schema der Seele-Geist-Körper-Tradition ein noch präsentiert er diese als eine wohlgeordnete Grammatik dynamischer Leib-Geistigkeit: Er erweitert den reflexiven Spielraum. Im „Netz, das man zwi- schen diesen Elementen herstellen kann“703, sei abschließend abermals Foucault 698 Ebd., S. 26 699 Müller 2004, S. 118 700 Musil 1989a, S. 27 701 Bernett 1960, S. 146 702 Musil 1989a, S. 29 703 Foucault 2003, S. 392 386 | Teil II. Im Moderne-Labor
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FAUST UND GEIST Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Title
FAUST UND GEIST
Subtitle
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Author
Wolfgang Paterno
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20545-6
Size
16.1 x 25.5 cm
Pages
446
Keywords
Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Grundlagen 15
  2. Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
  3. Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
  4. Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
  5. Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
  6. Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
  7. Ringfeldsichtung 113
  8. Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
  9. Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
  10. „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
  11. Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
  12. ZUSAMMENFASSUNG 389
  13. ANHANG
  14. Bibliografie 402
  15. Bildnachweis 438
  16. Dank 439
  17. Namensregister 440
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