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und im modernen Boxsport durchaus häufig in Kraft getretene – Narrativ des
Boxens zum Teil bis heute darstellt: Der Mann, der von ganz unten kommt, sich
nach oben durchboxt. Boxen verschafft dem Publikum in den 1920er-Jahren
mimetische Erregung, die über die Alltagsroutinen wie über die omnipräsenten
Schreckbilder hinausreicht. Die ungleichen Ideologie- und Gedankenströme,
der Wandel in Lebensgefühl und Lebensstil finden sich ferner im Boxen wie in
einem Brennpunkt vereint. Zentrale zeitgenössische Kultur- und Denkbewe-
gungen schimmern durch: Körperglorifizierung, Konkurrenz-, Konfrontations-,
Polarisierungs- und Widerstandsdenken, Fitness-, Sport- und Tempowahn,
Helden- und Selbstbezwingungsmythen, Kollektivismus und überzogene In-
dividualismen; schließlich die Ausgleichsbewegung zwischen Hochkulturellem
und Trivialem. Der Boxkampfboom kippt aber auch leicht in eine fragwürdige
Konstellation: In palastartigen Sporttempelbauten huldigt ein naives religiöses
Ordnungsdenken, inszeniert mittels raffinierten Licht- und Lärmregien, dem
übertriebenen Pathos des Sports. Ideologische Einsenkungen verstellen außer-
dem den Blick auf das Boxen: Den Athleten wird nicht nur die ausdrückliche
Beherrschung des Körpers, sondern auch dessen Aus- und Überformung durch
Drill und Training zugestanden. Die leibliche Durcharbeitung soll, so eine For-
mel in der Epoche gereizter Daseinskampfschwärmerei, eine verheißungsvollere
Lebensweise garantieren.
Aporien der Erzählliteratur über Boxen: Komplexe Verknüpfung
Boxen diffundiert in den 1920er-Jahren, mit allem Nachdruck, in die Literatur.
Zahlreiche Autorinnen und Autoren nehmen sich des Sports an, in unterschied-
lichen Reden, Tonlagen, Ausprägungen, Modebegriffen und Erzählstrategien.
Boxen in der Literatur erweist sich dabei als komplexes Verknüpfungsgeflecht.
Mit seiner performativen Ästhetik und den daraus resultierenden Begleiter-
scheinungen unterbreitet der Sport Wirkung auf mehreren diskursiven Ebenen:
Das Tumultartige der Boxsporthallen, in denen Lärm waltet und Schwaden
von Zigarettenrauch die Sicht trüben, findet sein Äquivalent in Darstellungen
moderner Arena-Architektur und, metaphorisch verfremdet von Licht- und
Lärmphänomenen, Massenspektakeln und Menschenmassen, von kollektiver
Partizipation und pseudoreligiöser Anteilnahme. Der scheinbaren Simplizität
des Boxens begegnet die Literatur mit Texten, die keinesfalls trivial, in denen
Sprachbilder und Wissensinhalte von hoher Komplexität aufzuspüren sind; Er-
zählen vermag die fest gefügten Ordnungen des Boxens zu verunsichern; Lite-
ratur kommentiert und kritisiert zeitgenössische Box-Mythen. Der Boxer im
Ring präsentiert sich als Stellvertreterfigur einer urbanen Übergangsgesellschaft 391
Zusammenfassung |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440