Page - 145 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Volume 1
Image of the Page - 145 -
Text of the Page - 145 -
145
aber kunstvollen Tanzweise,, fang. Tü'e Lieder ii, der Manier Ncidharts dauerten bis ins
XIV. Jahrhundert fort, wurden immer gröber und unfläthiger und zeigen uns, wie
allgemach der derbe und drastische Effect au die Stelle des durch Walther repräsentirten
idealen Stiles tritt.
Ganz dieselbe Wandlung machte aber auch das Epos iu Niederösterreich durch.
Auch hier hatte man sich der einseitige,, Richtung des höfischen Romanes «erschlossen, das
Voltsepos wie die voltslhümliche Lyrik war realistischer, als die höfische Kunst. Nachdem
zuvor ein Laie, Konrad von Fussesbrunnen, deu Stil des höfischen Epos auf geistliche
Gegenstände anzuwenden versucht hatte, erschien — erst in den Zwanziger-Jahren — ein
Ritterruinan des Strickers: „Daniel vou Blumenthal", und selbst dieser weicht stark nach
der Seite des volksthümlichen Epos aus. Als derselbe Verfasser wieder eiuen ritterlichen
Stoff behandeln wollte, griff er zurück iu das XII. Jahrhundert und überarbeitete das
Rolandslied des Pfaffen Konrad. Seine Stärke fühlte er aber erst, als er zum Theile
uralte, in allen europäischen Literaturen verbreitete Stoffe in der Form des Schwankes,
der Novelle oder der Fabel behandelte. Auf den, Gebiete der drastischen Darstellung ist der
Stricker ein Meister seiner Knust nnd Jahrhunderte lang ist die epische Erzählung in
Österreich, von technischen Fortschritten abgesehen, auf den, Punkte stehen geblieben, auf
welchen er sie gestellt hatte. Wie Neidhart, so lebte auch sein „Pfaffe Amis" niit seinen
Schwanken bis ins XIV. Jahrhundert fort, wo ihn der Wiener Philipp Frankfurter nntcr
dem Namen des „Pfaffen vom Kahlenberg" weiterschickte, bis er sich endlich im Eulenspiegel
verlor. Schon bei dem Stricker beginnen auch die Klagen um deu Verfall der höfischen
Knust und Sitte; ein Nachfolger am Ende des Jahrhunderts, der Wiener Bürger Ianfrn
Enenkel, wirft in seinem „Fürstenbuch" bereits einen sehnsüchtigen Blick auf die glanzvolle
Zeit des Babeuberg'fchen Hofes Zurück. Und während Wieu in Schwanken wie der
„Wiener Meerfahrt" als der Sitz einer lebenslustigen, zechfroheu Bürgerschaft erscheint,
entwerfen Kourad von Haslau und der sogenannte Seifried Helbling satirische Local-
schilderungen zwar in verwilderter Form, aber voll immittelbaren Lebens und drastischer
Wirkung. Das Satirische und Anekdotenhafte dringt nach nnd nach in alle Dichtungs-
gattungen ein, es raubt nicht nur in Enenkels Weltchronik uud Fürstenbuch der Geschichte
an Boden, in den Dichtungen eines Wiener Arztes, Heinrich von Neuenstadt, stiehlt es
sich auch in den ernsteren Roman und in die geistliche Dichtung ein. Und wo es, wie in
dem „Kreuziger" eines Ausländers, des Iohanniters Johann von Frantenstein, gänzlich
fehlt, da hat die Dichtung ihre beste K'raft, das Talent für realistische uud drastische
Darstellung, eingebüßt.
Diese Wendung zur realistischen Darstellung des Wirtlichen, Gegenwärtigen uud
Prosaischen verkündet nns bereits den Übergang von der mittelalterlichen Dichtung zur
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Volume 1
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Volume
- 1
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1886
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.13 x 22.72 cm
- Pages
- 348
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch
Table of contents
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277