Page - 8 - in Radetzkymarsch
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durchkerbten Tisch setzte, um die Pflicht der Korrespondenz zu erfüllen, sah
er ein, daß er über die Anrede »Lieber Vater!« niemals hinauskommen würde.
Und er lehnte die unfruchtbare Feder ans Tintenfaß, und er zupfte ein Stück
vom flackernden Docht der Kerze ab, als erhoffte er von ihrem besänftigten
Licht einen glücklichen Einfall und eine passende Wendung, und schweifte
sachte in Erinnerungen ab, an Kindheit, Dorf, Mutter und Kadettenschule. Er
betrachtete die riesigen Schatten, von geringen Gegenständen an die kahlen,
blaugetünchten Wände geworfen, und die leicht gekrümmte, schimmernde
Linie des Säbels am Haken neben der Tür und, durch den Korb des Säbels
gesteckt, das dunkle Halsband. Er lauschte dem unermüdlichen Regen
draußen und seinem trommelnden Gesang am blechbeschlagenen
Fensterbrett. Und er erhob sich endlich mit dem Entschluß, den Vater in der
nächsten Woche zu besuchen, nach vorgeschriebener Dank-Audienz beim
Kaiser, zu der man ihn in einigen Tagen abkommandieren sollte.
Eine Woche später fuhr er unmittelbar von der Audienz, die aus knappen
zehn Minuten bestanden hatte, nicht mehr als aus zehn Minuten kaiserlicher
Huld und jener zehn oder zwölf aus Akten gelesenen Fragen, auf die man in
strammer Haltung ein »Jawohl, Majestät!« wie einen sanften, aber
bestimmten Flintenschuß abfeuern mußte, im Fiaker zu seinem Vater nach
Laxenburg. Er traf den Alten in der Küche seiner Dienstwohnung, in
Hemdsärmeln, am blankgehobelten, nackten Tisch, auf dem ein dunkelblaues
Taschentuch mit roten Säumen lag, vor einer geräumigen Tasse mit
dampfendem und wohlriechendem Kaffee. Der knotenreiche, rotbraune Stock
aus Weichselholz hing mit der Krücke an der Tischkante und schaukelte leise.
Ein runzliger Lederbeutel mit faserigem Knaster lag dick geschwellt und halb
offen neben der langen Pfeife aus weißem, gebräuntem, gelblichem Ton. Ihre
Färbung paßte zu dem mächtigen, weißen Schnurrbart des Vaters. Hauptmann
Joseph Trotta von Sipolje stand mitten in dieser ärmlichen und ärarischen
Traulichkeit wie ein militärischer Gott, mit glitzernder Feldbinde, lackiertem
Helm, der eine Art eigenen schwarzen Sonnenscheins verbreitete, in glatten,
feurig gewichsten Zugstiefeln, mit schimmernden Sporen, mit zwei Reihen
glänzender, beinahe flackernder Knöpfe am Rock und von der überirdischen
Macht des Maria-Theresien-Ordens gesegnet. Also stand der Sohn vor dem
Vater, der sich langsam erhob, als wollte er durch die Langsamkeit der
Begrüßung den Glanz des Jungen wettmachen. Hauptmann Trotta küßte die
Hand seines Vaters, beugte den Kopf tiefer und empfing einen Kuß auf die
Stirn und einen auf die Wange. »Setz dich!« sagte der Alte. Der Hauptmann
schnallte Teile seines Glanzes ab und setzte sich. »Ich gratulier’ dir!« sagte
der Vater mit gewöhnlicher Stimme, im harten Deutsch der Armee-Slawen. Er
ließ die Konsonanten wie Gewitter hervorbrechen und beschwerte die
Endsilben mit kleinen Gewichten. Vor fünf Jahren noch hatte er zu seinem
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik