Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Radetzkymarsch
Page - 167 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 167 - in Radetzkymarsch

Image of the Page - 167 -

Image of the Page - 167 - in Radetzkymarsch

Text of the Page - 167 -

5Kapitel Frau von Taußig war schön und nicht mehr jung. Tochter eines Stationschefs, Witwe von einem jung verstorbenen Rittmeister namens Eichberg, hatte sie vor einigen Jahren einen frisch geadelten Herrn Taußig geheiratet, einen reichen und kranken Fabrikanten. Er litt an leichtem, sogenanntem zirkulĂ€rem Irresein. Seine AnfĂ€lle kehrten regelmĂ€ĂŸig jedes halbe Jahr wieder. Wochenlang vorher fĂŒhlte er sie nahen. Und er fuhr in jene Anstalt am Bodensee, in der verwöhnte Irrsinnige aus reichen HĂ€usern behutsam und kostspielig behandelt wurden und die IrrenwĂ€rter zĂ€rtlich waren wie Hebammen. Kurz vor einem seiner AnfĂ€lle und auf den Rat eines jener windigen und mondĂ€nen Ärzte, die ihren Patienten »seelische Emotionen« ebenso leichtfertig verschreiben wie altertĂŒmliche HausĂ€rzte Rhabarber und Rizinus, hatte Herr von Taußig die Witwe von seinem Freund Eichberg geheiratet. Taußig erlebte zwar eine »seelische Emotion«, aber sein Anfall kam auch schneller und heftiger. Seine Frau hatte wĂ€hrend ihrer kurzen Ehe mit Herrn von Eichberg viele Freunde gewonnen und nach dem Tode ihres Mannes ein paar herzliche HeiratsantrĂ€ge zurĂŒckgewiesen. Von ihren EhebrĂŒchen schwieg man aus purer HochschĂ€tzung. Die Zeit war damals strenge, wie man weiß. Aber sie erkannte Ausnahmen an und liebte sie sogar. Es war einer jener wenigen aristokratischen GrundsĂ€tze, denen zufolge einfache BĂŒrger Menschen zweiter Klasse waren, aber der und jener bĂŒrgerliche Offizier Leibadjutant des Kaisers wurde; die Juden auf höhere Auszeichnungen keinen Anspruch erheben konnten, aber einzelne Juden geadelt wurden und Freunde von Erzherzögen; die Frauen in einer ĂŒberlieferten Moral lebten, aber diese und jene Frau lieben durfte wie ein Kavallerieoffizier. (Es waren jene GrundsĂ€tze, die man heute »verlogene« nennt, weil wir soviel unerbittlicher sind; unerbittlich, ehrlich und humorlos.) Der einzige unter den intimen Freunden der Witwe, der ihr keinen Heiratsantrag gemacht hatte, war Chojnicki. Die Welt, in der es sich noch lohnte zu leben, war zum Untergang verurteilt. Die Welt, die ihr folgen sollte, verdiente keinen anstĂ€ndigen Bewohner mehr. Es hatte also keinen Sinn, dauerhaft zu lieben, zu heiraten und etwa Nachkommen zu zeugen. Mit seinen traurigen, blaßblauen, etwas hervortretenden Augen sah Chojnicki die Witwe an und sagte: »Entschuldige, daß ich dich nicht heiraten möchte!« Mit diesen Worten beendete er seinen Kondolenzbesuch. Die Witwe heiratete also den irrsinnigen Taußig. Sie brauchte Geld, und er 167
back to the  book Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Radetzkymarsch