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Radetzkymarsch
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5Kapitel Frau von Taußig war schön und nicht mehr jung. Tochter eines Stationschefs, Witwe von einem jung verstorbenen Rittmeister namens Eichberg, hatte sie vor einigen Jahren einen frisch geadelten Herrn Taußig geheiratet, einen reichen und kranken Fabrikanten. Er litt an leichtem, sogenanntem zirkulärem Irresein. Seine Anfälle kehrten regelmäßig jedes halbe Jahr wieder. Wochenlang vorher fühlte er sie nahen. Und er fuhr in jene Anstalt am Bodensee, in der verwöhnte Irrsinnige aus reichen Häusern behutsam und kostspielig behandelt wurden und die Irrenwärter zärtlich waren wie Hebammen. Kurz vor einem seiner Anfälle und auf den Rat eines jener windigen und mondänen Ärzte, die ihren Patienten »seelische Emotionen« ebenso leichtfertig verschreiben wie altertümliche Hausärzte Rhabarber und Rizinus, hatte Herr von Taußig die Witwe von seinem Freund Eichberg geheiratet. Taußig erlebte zwar eine »seelische Emotion«, aber sein Anfall kam auch schneller und heftiger. Seine Frau hatte während ihrer kurzen Ehe mit Herrn von Eichberg viele Freunde gewonnen und nach dem Tode ihres Mannes ein paar herzliche Heiratsanträge zurückgewiesen. Von ihren Ehebrüchen schwieg man aus purer Hochschätzung. Die Zeit war damals strenge, wie man weiß. Aber sie erkannte Ausnahmen an und liebte sie sogar. Es war einer jener wenigen aristokratischen Grundsätze, denen zufolge einfache Bürger Menschen zweiter Klasse waren, aber der und jener bürgerliche Offizier Leibadjutant des Kaisers wurde; die Juden auf höhere Auszeichnungen keinen Anspruch erheben konnten, aber einzelne Juden geadelt wurden und Freunde von Erzherzögen; die Frauen in einer überlieferten Moral lebten, aber diese und jene Frau lieben durfte wie ein Kavallerieoffizier. (Es waren jene Grundsätze, die man heute »verlogene« nennt, weil wir soviel unerbittlicher sind; unerbittlich, ehrlich und humorlos.) Der einzige unter den intimen Freunden der Witwe, der ihr keinen Heiratsantrag gemacht hatte, war Chojnicki. Die Welt, in der es sich noch lohnte zu leben, war zum Untergang verurteilt. Die Welt, die ihr folgen sollte, verdiente keinen anständigen Bewohner mehr. Es hatte also keinen Sinn, dauerhaft zu lieben, zu heiraten und etwa Nachkommen zu zeugen. Mit seinen traurigen, blaßblauen, etwas hervortretenden Augen sah Chojnicki die Witwe an und sagte: »Entschuldige, daß ich dich nicht heiraten möchte!« Mit diesen Worten beendete er seinen Kondolenzbesuch. Die Witwe heiratete also den irrsinnigen Taußig. Sie brauchte Geld, und er 167
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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