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4Kapitel
Die fatale Angelegenheit Leutnant Trottas wurde in einer fürsorglichen Stille
begraben. Der Major Zoglauer sagte nur: »Von Allerhöchster Stelle aus ist
Ihre Affäre beigelegt. Ihr Herr Papa hat das Geld geschickt. Mehr ist darüber
nicht zu sagen.« Trotta schrieb hierauf an seinen Vater. Er berichtete, daß die
Gefahr für seine Ehre von Allerhöchster Stelle abgewandt worden sei. Er bat
um Verzeihung für die frevelhaft lange Zeit, in der er geschwiegen und Briefe
des Bezirkshauptmanns nicht beantwortet hatte. Er war bewegt und gerührt.
Er bemühte sich, seine Rührung auch aufzuzeichnen. Aber in seinem kargen
Wortschatz fanden sich keine Ausdrücke für Reue, Wehmut und Sehnsucht.
Es war ein bitteres Stück Arbeit. Als er den Brief unterschrieben hatte, fiel
ihm der Satz ein: »Ich gedenke, bald um einen Urlaub einzukommen und dich
mündlich um Verzeihung zu bitten.« Als Nachschrift war dieser glückliche
Satz aus formalen Gründen nicht unterzubringen. Der Leutnant machte sich
also daran, das Ganze umzuschreiben. Nach einer Stunde war er fertig. Durch
das Umschreiben hatte die äußere Form des Briefes nur gewonnen. Somit
schien ihm alles erledigt, die ganze ekelhafte Sache begraben. Er bewunderte
selbst sein »phänomenales Glück«. Auf den alten Kaiser konnte sich der
Enkel des Helden von Solferino in jeder Lage verlassen. Nicht minder
erfreulich war die nunmehr erwiesene Tatsache, daß der Vater Geld besaß.
Unter Umständen, nachdem jetzt die Gefahr, aus der Armee ausgeschlossen
zu werden, vermieden war, konnte man sie freiwillig verlassen, in Wien mit
Frau von Taußig leben, vielleicht in den Staatsdienst treten, Zivil tragen. Man
war schon lange nicht mehr in Wien gewesen. Man hörte nichts von der Frau.
Man sehnte sich nach ihr. Man trank einen Neunziggrädigen, und man sehnte
sich noch mehr, aber es war schon jener wohltätige Grad der Sehnsucht, der
es gestattet, ein bißchen zu weinen. Die Tränen lagen in der letzten Zeit ganz
locker unter den Augen. Leutnant Trotta betrachtete noch einmal mit
Wohlgefallen den Brief, gelungenes Werk seiner Hände, steckte ihn in den
Umschlag und malte heiter die Adresse. Zur Belohnung bestellte er einen
doppelten Neunziggrädigen. Herr Brodnitzer selbst brachte den Schnaps und
sagte:
»Kapturak ist weg!«
Ein glücklicher Tag, kein Zweifel! Der kleine Mann, der den Leutnant
immer an eine der schlimmsten Stunden hätte erinnern können, war also
ebenfalls aus der Welt geschafft.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik