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4Kapitel
An den Grenzen der österreichisch-ungarischen Monarchie gab es damals
viele Männer von der Art Kapturaks. Rings um das alte Reich begannen sie
zu kreisen wie die schwarzen und feigen Vögel, die aus unendlicher Ferne
einen Sterbenden eräugen. Mit ungeduldigen und finsteren Flügelschlägen
warteten sie sein Ende ab. Mit steilen Schnäbeln stoßen sie auf die Beute.
Man weiß nicht, woher sie kommen, noch, wohin sie fliegen. Die gefiederten
Brüder des rätselhaften Todes sind sie, seine Künder, seine Begleiter und
seine Nachfolger.
Kapturak ist ein kleiner Mann von unbedeutendem Angesicht. Gerüchte
huschen um ihn, fliegen ihm auf seinen gewundenen Wegen voran und folgen
den kaum merklichen Spuren, die er hinterläßt. Er wohnt in der
Grenzschenke. Er verkehrt mit den Agenten der südamerikanischen
Schiffahrtsgesellschaften, die jedes Jahr Tausende russischer Deserteure auf
ihren Dampfern nach einer neuen und grausamen Heimat befördern. Er spielt
gerne und trinkt wenig. An einer gewissen gramvollen Leutseligkeit läßt er es
nicht fehlen. Er erzählt, daß er jahrelang den Schmuggel mit russischen
Deserteuren jenseits der Grenze betrieben und dort ein Haus, Weib und
Kinder zurückgelassen habe, aus Angst, nach Sibirien verschickt zu werden,
nachdem man mehrere Beamte und Militärs ertappt und verurteilt hatte. Und
auf die Frage, was er hier zu machen gedenke, erwidert Kapturak, bündig und
lächelnd: »Geschäfte.«
Der Inhaber des Hotels, in dem die Offiziere logierten, ein gewisser
Brodnitzer, schlesischer Abstammung und aus unbekannten Gründen an die
Grenze verschlagen, machte den Spielsaal auf. Er hängte einen großen Zettel
an die Fensterscheibe des Cafés. Er verkündete, daß er Spiele jeder Art
bereithalte, eine Musikkapelle allabendlich bis in die Morgenstunden
»konzertieren« lassen werde und »Tingel-Tangel-Sängerinnen von Ruf«
engagiert habe. Die »Renovierung« des Lokals begann mit den Konzerten der
Musikkapelle, die aus acht zusammengeklaubten Musikern bestand. Später
traf die sogenannte »Nachtigall aus Mariahilf« ein, ein blondes Mädchen aus
Oderberg. Sie sang Walzer von Lehár, dazu das gewagte Lied: »Wenn ich in
der Liebesnacht in den grauen Morgen wandre … «, ferner als Zugabe:
»Unter meinem Kleidchen trag’ ich rosa Dessous voller plis … « Also
steigerte Brodnitzer die Erwartungen seiner Kundschaft. Es erwies sich, daß
Brodnitzer neben den zahlreichen kurzen und langen Kartentischen in einer
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik