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6Kapitel
Noch in dieser Nacht marschierte das Bataillon der Jäger in Richtung nach
Nordosten gegen die Grenze Woloczyska. Es begann zuerst sachte, dann
immer stärker zu regnen, und der weiße Staub der Landstraße verwandelte
sich in silbergrauen Schlamm. Der Kot schlug klatschend über den Stiefeln
der Soldaten zusammen und bespritzte die tadellosen Uniformen der
Offiziere, die vorschriftsmäßig in den Tod gingen. Die langen Säbel störten
sie, und an ihren Hüften hingen die prachtvollen, langhaarigen Quasten der
schwarz-goldenen Feldbinden, verfilzt, durchnäßt und bespritzt von tausend
kleinen Schlammklümpchen. Beim Morgengrauen erreichte das Bataillon sein
Ziel, vereinigte sich mit zwei fremden Infanterieregimentern und bildete
Schwarmlinien. So warteten sie zwei Tage, und es war nichts vom Krieg zu
sehen. Manchmal hörten sie aus der Ferne, zu ihrer Rechten, verlorene
Schüsse. Es waren kleinere Grenzgeplänkel zwischen berittenen Truppen.
Man sah manchmal verwundete Grenzfinanzer, auch hie und da einen toten
Grenzgendarmen. Sanitäter schafften Verwundete wie Leichen weg, an den
wartenden Soldaten vorbei. Der Krieg wollte nicht anfangen. Er zögerte, wie
manchmal Gewitter tagelang zögern, bevor sie ausbrechen.
Am dritten Tag kam der Befehl zum Rückzug, und das Bataillon formierte
sich zum Abmarsch. Die Offiziere wie die Mannschaften waren enttäuscht. Es
verbreitete sich das Gerücht, daß zwei Meilen östlich ein ganzes
Dragonerregiment aufgerieben worden sei. Kosaken sollten bereits im
eigenen Lande eingebrochen sein. Man marschierte schweigsam und
mißmutig nach Westen. Man merkte bald, daß ein unvorbereiteter Rückzug
stattfand, denn man stieß auf ein verworrenes Gewimmel verschiedenster
Waffengattungen an den Kreuzungen der Landstraßen und in Dörfern und
kleinen Städtchen. Vom Armeekommando kamen zahlreiche und sehr
verschiedene Befehle. Die meisten bezogen sich auf die Evakuierung der
Dörfer und Städte und auf die Behandlung der russisch gesinnten Ukrainer,
der Geistlichen und der Spione. Voreilige Standgerichte verkündeten in den
Dörfern voreilige Urteile. Geheime Spitzel lieferten unkontrollierbare
Berichte über Bauern, Popen, Lehrer, Photographen, Beamte. Man hatte keine
Zeit. Man mußte sich schleunigst zurückziehen, aber auch die Verräter
schleunigst bestrafen. Und während sich Sanitätswagen, Trainkolonnen,
Feldartillerie, Dragoner, Ulanen und Infanteristen im ständigen Regen auf den
aufgeweichten Straßen in ratlosen und plötzlich entstandenen Knäueln
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik