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1Kapitel
Verschiedene wichtige Veränderungen gingen im Haus und im Leben des
Bezirkshauptmanns vor. Er verzeichnete sie erstaunt und ein wenig grimmig.
An kleinen Anzeichen, die er allerdings für gewaltige hielt, bemerkte er, daß
sich rings um ihn die Welt veränderte, und er dachte an ihren Untergang und
an die Prophezeiungen Chojnickis. Er suchte nach einem neuen Diener. Man
empfahl ihm viele jüngere und offensichtlich brave Männer mit tadellosen
Zeugnissen, Männer, die drei Jahre beim Militär gedient hatten und sogar
Gefreite geworden waren. Den und jenen nahm der Bezirkshauptmann »auf
Probezeit« ins Haus. Aber er behielt niemanden. Sie hießen Karl, Franz,
Alexander, Joseph, Alois oder Christoph oder noch anders. Aber der
Bezirkshauptmann versuchte, jeden »Jacques« zu nennen. Hatte doch selbst
der echte Jacques anders geheißen und seinen Namen nur angenommen und
ein ganzes langes Leben mit Stolz geführt, so wie etwa ein berühmter Dichter
seinen literarischen Namen, unter dem er unsterbliche Lieder und Gedichte
schreibt. Es erwies sich jedoch schon nach einigen Tagen, daß die Aloise, die
Alexanders, die Josephs und die anderen auf den großen Namen Jacques nicht
hören wollten, und der Bezirkshauptmann empfand diese Widerspenstigkeit
nicht nur als einen Verstoß gegen den Gehorsam und gegen die Ordnung der
Welt, sondern auch als eine Kränkung des unwiederbringlichen Toten. Wie?
Es paßte ihnen nicht, Jacques zu heißen?! Diesen Taugenichtsen ohne Jahre
und ohne Verdienst, ohne Intelligenz und ohne Disziplin?! Denn der tote
Jacques lebte im Angedenken des Bezirkshauptmanns weiter als ein Diener
von musterhaften Eigenschaften, als das Muster eines Menschen überhaupt.
Und mehr noch als über die Widerspenstigkeit der Nachfolger wunderte sich
Herr von Trotta über den Leichtsinn der Herrschaften und der Behörden, die
so miserablen Subjekten günstige Zeugnisse ausgestellt hatten. Wenn es
überhaupt möglich war, daß ein gewisses Individuum namens Alexander Cak
– ein Mann, dessen Namen er niemals vergessen wollte, und ein Name, der
sich auch mit einer gewissen Gehässigkeit aussprechen ließ, so daß es klang,
als würde dieser Cak schon erschossen, wenn der Bezirkshauptmann ihn nur
erwähnte: wenn es also möglich war, daß dieser Cak der
Sozialdemokratischen Partei angehörte und dennoch bei seinem Regiment
Gefreiter geworden war, so konnte man freilich nicht nur an diesem
Regiment, sondern auch an der ganzen Armee verzweifeln. Und die Armee
war nach der Meinung des Bezirkshauptmanns noch in der Monarchie die
einzige Macht, auf die man sich verlassen konnte! Es war dem
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik