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3Kapitel
Im Herrenzimmer des Bezirkshauptmanns hing das Porträt, den Fenstern
gegenüber und so hoch an der Wand, daß Stirn und Haar im dunkelbraunen
Schatten des alten, hölzernen Suffits verdämmerten. Die Neugier des Enkels
kreiste beständig um die erloschene Gestalt und den verschollenen Ruhm des
Großvaters. Manchmal, an stillen Nachmittagen – die Fenster standen offen,
der dunkelgrüne Schatten der Kastanien aus dem Stadtpark erfüllte das
Zimmer mit der ganzen satten und kräftigen Ruhe des Sommers, der
Bezirkshauptmann leitete eine seiner Kommissionen außerhalb der Stadt, von
fernen Treppen her schlurfte der Geisterschritt des alten Jacques, der auf
Filzpantoffeln durch das Haus ging, um Schuhe, Kleider, Aschenbecher,
Leuchter und Stehlampen zum Putzen einzusammeln –, stieg Carl Joseph auf
einen Stuhl und betrachtete das Bildnis des Großvaters aus der Nähe. Es
zerfiel in zahlreiche tiefe Schatten und helle Lichtflecke, in Pinselstriche und
Tupfen, in ein tausendfältiges Gewebe der bemalten Leinwand, in ein hartes
Farbenspiel getrockneten Öls. Carl Joseph stieg vom Stuhl. Der grüne
Schatten der Bäume spielte auf dem braunen Rock des Großvaters, die
Pinselstriche und Tupfen fügten sich wieder zu der vertrauten, aber
unergründlichen Physiognomie, und die Augen erhielten ihren gewohnten,
fernen, dem Dunkel der Decke entgegendämmernden Blick. Jedes Jahr in den
Sommerferien fanden die stummen Unterhaltungen des Enkels mit dem
Großvater statt. Nichts verriet der Tote. Nichts erfuhr der Junge. Von Jahr zu
Jahr schien das Bildnis blasser und jenseitiger zu werden, als stürbe der Held
von Solferino noch einmal dahin, als zöge er sein Andenken langsam zu sich
hinüber und als müßte eine Zeit kommen, in der eine leere Leinwand aus dem
schwarzen Rahmen noch stummer als das Porträt auf den Nachkommen
niederstarren würde.
Unten im Hof, im Schatten des hölzernen Balkons, saß Jacques auf einem
Schemel, vor der militärisch ausgerichteten Reihe gewichster Stiefel. Immer,
wenn Carl Joseph von Frau Slama heimkehrte, ging er zu Jacques in den Hof
und setzte sich auf die Kante. »Erzählen Sie vom Großvater, Jacques!« – Und
Jacques legte Bürste, Pasta und Sidol weg, rieb die Hände aneinander, als
wüsche er sie von Arbeit und Schmutz, bevor er anfing, von dem Seligen zu
sprechen. Und wie immer und wie schon gute zwanzig Mal begann er: »Ich
bin immer mit ihm ausgekommen! Gar nicht jung mehr bin ich auf den Hof
gekommen, geheiratet hab’ ich nicht, das hätt’ dem Seligen nicht gefallen.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik