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Radetzkymarsch
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gewendet: »Ich rate dir, heute zwei zu nehmen!« Carl Joseph nahm zwei. Er verschlang sie im Nu, war eine Sekunde früher fertig als sein Vater und trank ein Glas Wasser nach – denn Wein gab es nur am Abend –, um sie aus der Speiseröhre, in der sie noch stecken mochten, in den Magen hinunterzuspülen. Er faltete, im gleichen Rhythmus wie der Alte, seine Serviette. Man erhob sich. Die Musik spielte draußen die Tannhäuser- Ouvertüre. Unter ihren sonoren Klängen schritt man ins Herrenzimmer, Fräulein Hirschwitz voran. Dorthin brachte Jacques den Kaffee. Man erwartete den Herrn Kapellmeister Nechwal. Er kam, während sich seine Musikanten unten zum Abmarsch formierten, im dunkelblauen Paraderock, mit glänzendem Degen und zwei funkelnden, goldenen, kleinen Harfen am Kragen. »Ich bin entzückt von Ihrem Konzert«, sagte Herr von Trotta heute wie jeden Sonntag. »Es war heute ganz außerordentlich.« Herr Nechwal verbeugte sich. Er hatte schon vor einer Stunde in der Offiziersmesse gegessen, den schwarzen Kaffee nicht abwarten können, er hatte noch den Geschmack der Speisen im Mund, er dürstete nach einer Virginier. Jacques brachte ihm ein Paket Zigarren. Der Kapellmeister sog lange am Feuer, das Carl Joseph standhaft vor die Mündung der langen Zigarre hielt, auf die Gefahr hin, daß seine Finger verbrannten. Man saß in breiten Lederstühlen. Herr Nechwal erzählte von der letzten Lehár-Operette in Wien. Er war ein Weltmann, der Kapellmeister. Er kam zweimal im Monat nach Wien, und Carl Joseph ahnte, daß der Musiker auf dem Grunde seiner Seele viele Geheimnisse aus der großen nächtlichen Halbwelt barg. Er hatte drei Kinder und eine Frau »aus einfachen Verhältnissen«, aber er selbst stand im vollsten Glanz der Welt, losgelöst von den Seinen. Er genoß und erzählte jüdische Witze mit pfiffigem Behagen. Der Bezirkshauptmann verstand sie nicht, lachte auch nicht, sagte aber: »Sehr gut, sehr gut!« »Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?« fragte Herr von Trotta regelmäßig. Seit Jahren stellte er diese Frage. Er hatte Frau Nechwal nie gesehen, er wünschte auch nicht, der »Frau aus einfachen Verhältnissen« jemals zu begegnen. Beim Abschied sagte er immer zu Herrn Nechwal: »Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin, unbekannterweise!« Und Herr Nechwal versprach, die Grüße auszurichten, und versicherte, daß sich seine Frau sehr freuen würde. – »Und wie geht es Ihren Kindern?« fragte Herr von Trotta, der immer wieder vergaß, ob es Söhne oder Töchter waren. »Der Älteste lernt gut!« sagte der Kapellmeister. »Wird wohl auch Musiker?« fragte Herr von Trotta mit leiser Geringschätzung. »Nein!« erwiderte Herr Nechwal, »noch ein Jahr, und er kommt in die Kadettenschule.« »Ah, Offizier!« sagte der Bezirkshauptmann. »Das ist richtig. Infanterie?« Herr Nechwal lächelte: »Natürlich! Er ist tüchtig. Vielleicht kommt er einmal in den Stab.« »Gewiß, gewiß!« sagte der Bezirkshauptmann. »Man hat derlei schon erlebt!« Eine Woche später hatte er alles vergessen. Man merkte sich nicht die Kinder des Kapellmeisters. 27
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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