Page - 30 - in Radetzkymarsch
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Er erwachte. Frau Slama stand vor ihm, hielt ihm Stück um Stück seiner
Kleidung entgegen; er begann, sich hastig anzuziehen. Sie lief in den Salon,
brachte ihm Handschuhe und Mütze. Sie rückte an seinem Rock, er fühlte ihre
ständigen Blicke auf seinem Gesicht, aber er vermied es, sie anzuschauen. Er
schlug die Absätze aneinander, daß es knallte, drückte der Frau die Hand, sah
aber hartnäckig auf ihre rechte Schulter und ging.
Von einem Turm schlug es sieben. Die Sonne näherte sich den Hügeln, die
jetzt blau waren wie der Himmel und von Wolken kaum zu unterscheiden.
Von den Bäumen am Wegrand strömte süßer Duft. Der Abendwind kämmte
die kleinen Gräser der Wiesenhänge zu beiden Seiten der Straße; man sah,
wie sie sich zitternd wellten unter seiner unsichtbaren, leisen und breiten
Hand. In fernen Sümpfen begannen die Frösche zu quaken. Aus dem offenen
Fenster eines knallgelben Vorstadthäuschens sah eine junge Frau in die leere
Straße. Obwohl Carl Joseph sie nie gesehen hatte, grüßte er sie, stramm und
voller Ehrfurcht. Sie nickte etwas befremdet und dankbar. Es war ihm, als
hätte er jetzt erst Frau Slama zum Abschied gegrüßt. Wie ein Grenzposten
zwischen der Liebe und dem Leben stand die fremde, vertraute Frau am
Fenster. Nachdem er sie gegrüßt hatte, fühlte er sich wieder der Welt
zurückgegeben. Er schritt schnell aus. Schlag dreiviertel achtwar er zu Hause
und meldete seinem Vater die Rückkehr, blaß, kurz und entschlossen, wie es
sich für Männer geziemt.
Der Wachtmeister hatte jeden zweiten Tag Patrouillendienst. Jeden Tag
kam er mit einem Aktenbündel in die Bezirkshauptmannschaft. Den Sohn des
Bezirkshauptmanns traf er niemals. Jeden zweiten Tag, nachmittags um vier,
marschierte Carl Joseph in das Gendarmeriekommando. Um sieben Uhr
abends verließ er es. Der Duft, den er von Frau Slama mitbrachte, vermischte
sich mit den Gerüchen der trockenen sommerlichen Abende und blieb an Carl
Josephs Händen Tag und Nacht. Er gab acht, dem Vater bei Tisch nicht näher
zu kommen als nötig war. »Es riecht hier nach Herbst«, sagte eines Abends
der Alte. Er verallgemeinerte. Frau Slama gebrauchte grundsätzlich Reseda.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik