Page - 57 - in Radetzkymarsch
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in den Korridor. In dem Augenblick, in dem er unten die Tür schloß, setzten
die Bläser zum letzten Abgesang des Zapfenstreiches an. Die Sterne am
Himmel flimmerten. Der Posten vor dem Tor salutierte. Hinter Carl Josephs
Rücken schloß sich das Tor. Silbern im Mondlicht schimmerte die Straße. Die
gelben Lichter der Stadt grüßten herüber wie heruntergefallene Sterne. Der
Schritt klang hart auf dem frisch gefrorenen, herbstlich-nächtlichen Boden.
Hinter dem Rücken vernahm er die Stiefel Onufrijs. Der Leutnant ging
schneller, um sich nicht vom Diener überholen zu lassen. Aber auch Onufrij
beschleunigte den Schritt. So liefen sie auf der einsamen, harten und
widerhallenden Straße, einer hinter dem andern. Offenbar machte es Onufrij
Freude, seinen Leutnant einzuholen. Carl Joseph blieb stehen und wartete.
Onufrij reckte sich deutlich im Mondlicht, er schien zu wachsen, er hob den
Kopf gegen die Sterne, als bezöge er von dorther neue Kraft für die
Begegnung mit seinem Herrn. Seine Arme bewegte er ruckartig, im gleichen
Rhythmus wie die Beine; es war, als träte er auch die Luft mit den Händen.
Drei Schritte vor Carl Joseph blieb er stehen, die Brust noch einmal reckend,
mit einem fürchterlichen Knall der Stiefelabsätze, und die Hand salutierte mit
zusammengewachsenen fünf Fingern. Ratlos lächelte Carl Joseph. Jeder
andere, dachte er, wüßte etwas Nettes zu sagen. Es war rührend, wie ihm
Onufrij folgte. Er hatte ihn eigentlich niemals genau angesehen. Solange er
den Namen nicht behalten konnte, war es ihm auch unmöglich gewesen, das
Angesicht zu betrachten. Es war so, als hätte er jeden Tag einen anderen
Burschen gehabt. Die anderen sprachen von ihren Burschen mit kennerischer
Sorgfalt, wie von Mädchen, Kleidern, Lieblingsspeisen und Pferden. Carl
Joseph dachte an den alten Jacques zu Hause, wenn von Dienern die Rede
war, an den alten Jacques, der noch dem Großvater gedient hatte. Es gab,
außer dem alten Jacques, keinen Diener auf der Welt! Jetzt stand Onufrij vor
ihm auf der mondbelichteten Landstraße, mit mächtig aufgepumptem
Brustkorb, mit glitzernden Knöpfen, spiegelnd gewichsten Stiefeln und im
breiten Angesicht eine krampfhaft verborgene Freude über die
Zusammenkunft mit dem Leutnant. »Stehen S’! Ruht!« sagte Carl Joseph.
Er hätte etwas Liebenswürdigeres sagen mögen. Der Großvater hätte es zu
Jacques gesagt. Onufrij setzte knallend den rechten Fuß vor den linken. Sein
Brustkorb blieb aufgepumpt, der Befehl hatte keine Wirkung. »Stehen S’
kommod!« sagte Joseph, etwas traurig und ungeduldig. »Steh’ ich kommod,
melde gehorsamst!« erwiderte Onufrij. »Wohnt sie weit von hier, dein
Mädchen?« fragte Carl Joseph. »Nicht weit, eine Stunde Marsch, melde
gehorsamst, Herr Leutnant!« – Nein, es ging nicht! Carl Joseph konnte kein
Wort mehr finden. Er würgte an irgendeiner unbekannten Zärtlichkeit, er
wußte nicht, mit Burschen umzugehen! Mit wem denn sonst? Seine
Ratlosigkeit war groß, auch vor den Kameraden fand er kaum ein Wort.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik