Page - 60 - in Radetzkymarsch
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ausgezeichnet.« Und »ausgezeichnet!« wiederholte er eine Weile später. Es tat
ihm leid, daß Trotta das Schnitzel versäumt hatte. Er hätte es dem Leutnant
gern noch einmal vorgekaut; zumindest zugesehen, wie man eines mit Appetit
verzehrt. »Na, gute Unterhaltung!« sagte er schließlich und wandte sich
wieder den Dominosteinen zu.
Die Verwirrung war um diese Stunde groß, man konnte keinen angenehmen
Platz mehr finden. Rittmeister Taittinger, der die Messe seit undenklichen
Zeiten verwaltete und dessen einzige Leidenschaft der Genuß von süßem
Backwerk war, hatte das Kasino im Laufe der Zeit nach dem Muster jener
Zuckerbäckerei eingerichtet, in der er jeden Nachmittag verbrachte. Man
konnte ihn dort hinter der Glastür sitzen sehen, in der düsteren
Unbeweglichkeit einer merkwürdigen uniformierten Reklamefigur. Er war der
beste Stammgast der Konditorei, wahrscheinlich auch ihr hungrigster. Ohne
sein gramvolles Angesicht um eine Spur zu beleben, verschlang er einen
Teller Süßigkeiten nach dem andern, nippte von Zeit zu Zeit am Wasserglas,
sah unbeweglich durch die Glastür auf die Straße, nickte gemessen, wenn ein
vorbeikommender Soldat salutierte, und in seinem großen, mageren Schädel
mit den spärlichen Haaren schien einfach gar nichts vorzugehen. Er war ein
sanfter und sehr fauler Offizier. Die Beschäftigung mit den Angelegenheiten
der Messe, ihrer Küche, der Köche, der Ordonnanzen, des Weinkellers war
ihm unter allen dienstlichen Obliegenheiten die einzig genehme. Und seine
ausgedehnte Korrespondenz mit Weinhändlern und Likörfabrikanten
beschäftigte nicht weniger als zwei Kanzleischreiber. Es gelang ihm im Laufe
der Jahre, die Einrichtung des Kasinos jener der geliebten Konditorei
anzugleichen, niedliche Tischchen in den Winkeln aufzustellen und die
Tischlampen mit rötlichen Schirmen zu bekleiden.
Carl Joseph blickte um sich. Er suchte einen erträglichen Platz. Zwischen
dem Fähnrich in der Reserve Bärenstein, Ritter von Zaloga, einem jüngst
geadelten reichen Advokaten, und dem rosigen Leutnant Kindermann,
reichsdeutscher Abkunft, war man verhältnismäßig am sichersten. Der
Fähnrich, zu dessen gesetztem Alter und leicht gewölbtem Bauch die
jugendliche Charge so wenig paßte, daß er aussah wie ein militärisch
verkleideter Bürger, und dessen Angesicht mit dem kleinen, kohlschwarzen
Schnurrbart befremdete, weil ihm gleichsam ein naturnotwendiger Zwicker
fehlte, strömte in diesem Kasino eine zuverlässige Würde aus. Er erinnerte
Carl Joseph an eine Art Hausarzt oder Onkel. Ihm allein in diesen zwei
großen Sälen glaubte man, daß er wirklich und ehrlich saß – während die
andern auf ihren Sitzen herumzuhüpfen schienen. Das einzige Zugeständnis,
das der Fähnrich Doktor Bärenstein außer seiner Uniform dem Militär
machte, war das Monokel während seiner Dienstzeit; denn er trug tatsächlich
einen Zwicker in seinem bürgerlichen Leben.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik