Page - 73 - in Radetzkymarsch
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Schwiegervater.
»Gar keine Veranlassung!« wiederholte Herr Knopfmacher. »Ich aber habe
Veranlassung! Ich kenne meine Tochter! Du kennst deine Frau nicht! Die
Herren Leutnants kenn’ ich auch! Und überhaupt die Männer! Ich will nichts
gegen die Armee gesagt haben. Bleiben wir bei der Sache. Als meine Frau,
deine Schwiegermutter, noch jung war, hab’ ich Gelegenheit gehabt, die
jungen Männer – in Zivil und in Uniform – kennenzulernen. Ja, komische
Leute seid ihr, ihr, ihr –«
Er suchte nach einer gemeinsamen Bezeichnung irgendeiner ihm selbst
nicht genau bekannten Gemeinschaft, der sein Schwiegersohn und noch
andere Dummköpfe angehören mochten. Am liebsten hätte er »ihr
akademisch Gebildeten!« gesagt. Denn er war gescheit, wohlhabend und
angesehen geworden, ohne Studium. Ja, man war im Begriff, ihm in diesen
Tagen den Titel des Kommerzialrats zu verschaffen. Er spann einen süßen
Traum in die Zukunft, einen Traum von Geldspenden, großen Geldspenden.
Deren unmittelbare Folge war der Adel. Und wenn man zum Beispiel die
ungarische Staatsbürgerschaft annahm, so konnte man noch schneller adelig
werden. In Budapest machte man einem das Leben nicht so schwer. Es waren
übrigens auch Akademiker, die einem das Leben schwermachten, lauter
Konzeptsbeamte, Dummköpfe! Sein eigener Schwiegersohn machte es ihm
schwer. Wenn jetzt ein kleiner Skandal mit den Kindern ausbricht, kann man
noch lange auf den Kommerzialrat warten! Überall muß man nach dem
Rechten sehn, selbst, persönlich! Auf die Tugend fremder Gattinnen muß man
auch aufpassen!
»Ich möchte dir, lieber Max, ehe es zu spät ist, reinen Wein einschenken!«
Der Regimentsarzt liebte dieses Wort nicht, er liebte nicht, um jeden Preis
die Wahrheit zu hören. Ach, er kannte seine Frau genausogut wie Herr
Knopfmacher seine Tochter! Aber er liebte sie, was war dagegen zu tun! Er
liebte sie. In Olmütz hatte es den Bezirkskommissär Herdall gegeben, in Graz
den Bezirksrichter Lederer. Wenn es nur nicht Kameraden waren, dankte der
Regimentsarzt Gott und auch seiner Frau. Wenn man nur die Armee verlassen
könnte. Man schwebte ständig in Lebensgefahr. Wie oft hatte er schon einen
Anlauf genommen, dem Schwiegervater vorzuschlagen … Er setzte noch
einmal an. »Ich weiß«, sagte er, »daß sich Eva in Gefahr befindet. Immer.
Seit Jahren. Sie ist leichtsinnig, leider. Sie treibt es nicht bis zum Äußersten«,
er hielt ein und betonte: »nicht bis zum Äußersten!« Er mordete mit diesem
Wort alle seine eigenen Zweifel, die ihn seit Jahren nicht in Ruhe ließen. Er
rottete seine Unsicherheit aus, er bekam die Gewißheit, daß seine Frau ihn
nicht betrog. »Keineswegs!« sagte er noch einmal laut. Er wurde ganz sicher:
»Eva ist ein anständiger Mensch, trotz allem!«
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik