Page - 77 - in Radetzkymarsch
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Es wurde ihm klar, daß er zuviel getrunken hatte. Er dachte befriedigt: Ich
bin betrunken und will es auch. Und er sagte, mit einer fremden Stimme, als
hätte er jetzt die Pflicht, betrunken und nicht er selbst zu sein: »So, aha!«
Nach seinen unklaren Vorstellungen waren es diese Worte und dieser Klang,
die ein betrunkener Mann in solchen Augenblicken zu singen hatte. Er sang
also. Und er tat ein übriges. »Ich werde dich töten!« sagte er ganz langsam.
»Töte mich!« zwitscherte sie mit ihrer alten, hellen, gewohnten Stimme.
Sie erhob sich. Sie erhob sich flink und geschmeidig, die Puderquaste in der
Rechten. Der schlanke und volle Schwung ihrer seidenen Beine erinnerte ihn
flüchtig an Gliedmaßen in den Schaufenstern der Modehäuser, die ganze Frau
war zusammengesetzt, aus Stücken zusammengesetzt. Er liebte sie nicht
mehr, er liebte sie nicht mehr. Er war erfüllt von einer Gehässigkeit, die er
selbst haßte, einem Zorn, der wie ein unbekannter Feind aus fernen Gegenden
zu ihm gekommen war und nun in seinem Herzen wohnte. Er sagte laut, was
er vor einer Stunde gedacht hatte: »Ordnung machen! Ich werde Ordnung
machen«
Sie lachte, mit einer schallenden Stimme, die er nicht kannte. Eine
Theaterstimme! dachte er. Ein unbezwinglicher Drang, ihr zu beweisen, daß
er Ordnung machen könne, gab seinen Muskeln Fülle, seinen schwachen
Augen eine ungewöhnliche Stärke. Er sagte: »Ich lasse dich mit deinem Vater
allein! Ich gehe den Trotta aufsuchen!«
»Geh nur, geh!« sagte die Frau.
Er ging. Er kehrte, bevor er das Haus verließ, noch einmal ins
Herrenzimmer zurück, um einen Schnaps zu trinken. Er kehrte zum Alkohol
zurück wie zu einem heimischen Freund, zum erstenmal in seinem Leben. Er
schenkte sich ein Gläschen ein, noch eines und ein drittes. Er verließ das Haus
mit klirrenden Schritten. Er ging ins Kasino. Er fragte die Ordonnanz: »Wo ist
Herr Leutnant Trotta?«
Leutnant Trotta war nicht im Kasino.
Der Regimentsarzt schlug die schnurgerade Landstraße ein, die zur Kaserne
führte. Schon war der Mond im Abnehmen. Er leuchtete noch silbern und
stark, beinahe ein Vollmond. Auf der stillen Landstraße rührte sich kein
Hauch. Die dürren Schatten der kahlen Kastanien zu beiden Seiten zeichneten
ein verworrenes Netz auf die leichtgewölbte Mitte der Straße. Hart und
gefroren klang der Schritt Doktor Demants. Er ging zum Leutnant Trotta. Er
sah von ferne, in bläulichem Weiß, die mächtige Mauer der Kaserne, er ging
auf sie los, auf die feindliche Burg. Ihm entgegen kam der kalte, blecherne
Ton des Zapfenstreichs, Doktor Demant marschierte geradewegs auf die
gefrorenen, metallenen Töne zu, er zertrat sie. Bald, jeden Augenblick, mußte
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik