Page - 91 - in Radetzkymarsch
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Der Wirt brachte ein Tischchen und zwei Stühle in die Küche und
entzündete eine grünliche Gaslampe. In der Wirtsstube schmetterte der
Musikapparat wieder, ein Potpourri aus bekannten Märschen, zwischen denen
die ersten Trommeltakte des Radetzkymarsches, entstellt durch heisere
Nebengeräusche, aber immer noch kenntlich, in bestimmten Zeitabständen
erklangen. Im grünlichen Schatten, den der Lampenschirm über die
weißgetünchten Küchenwände zeichnete, dämmerte das bekannte Porträt des
Obersten Kriegsherrn in blütenweißer Uniform auf, zwischen zwei riesigen
Pfannen aus rötlichem Kupfer. Das weiße Gewand des Kaisers war von
zahllosen Fliegenspuren betupft, wie von winzigen Schrotkügelchen
durchsiebt, und die Augen Franz Josephs des Ersten, sicher auch auf diesem
Porträt im selbstverständlichen Porzellanblau gemalt, waren im Schatten des
Lampenschirms erloschen. Der Doktor zeigte mit ausgestrecktem Finger auf
das Kaiserbild. »In der Gaststube hat es noch vor einem Jahr gehangen!«
sagte er. »Jetzt hat der Wirt keine Lust mehr, zu beweisen, daß er ein loyaler
Untertan ist.« Der Automat verstummte. Im selben Augenblick erklangen
zwei harte Schläge einer Wanduhr. »Schon zwei Uhr!« sagte der Leutnant.
»Noch fünf Stunden!« erwiderte der Regimentsarzt. Der Wirt brachte
Sliwowitz. Sieben Uhr zwanzig! hämmerte es im Hirn des Leutnants.
Er griff nach dem Gläschen, hob es in die Luft und sagte mit der starken,
angelernten Stimme, mit der man die Kommandos hervorzustoßen hatte:
»Auf dein Wohl! Du mußt leben!«
»Auf einen leichten Tod!« erwiderte der Regimentsarzt und leerte das Glas,
während Carl Joseph den Schnaps wieder auf den Tisch stellte. »Dieser Tod
ist unsinnig!« sagte der Doktor weiter. »So unsinnig, wie mein Leben
gewesen ist!«
»Ich will nicht, daß du stirbst!« schrie der Leutnant und stampfte auf die
Fliesen des Küchenbodens. »Und ich will auch nicht sterben! Und mein
Leben ist auch unsinnig!«
»Sei still!« erwiderte Doktor Demant. »Du bist der Enkel des Helden von
Solferino. Der wäre fast ebenso unsinnig gestorben. Obwohl es ein
Unterschied ist, ob man so gläubig wie er in den Tod geht oder so
schwachmütig wie wir beide.« Er schwieg. »Wie wir beide«, begann er nach
einer Weile. »Unsere Großväter haben uns nicht viel Kraft hinterlassen, wenig
Kraft zum Leben, es reicht gerade noch, um unsinnig zu sterben. Ach!« Der
Doktor schob sein Gläschen von sich, und es war, als schöbe er die ganze
Welt weit fort und den Freund ebenfalls. »Ach!« wiederholte er, »ich bin
müde, seit Jahren müde! Ich werde morgen wie ein Held sterben, wie ein
sogenannter Held, ganz gegen meine Art und ganz gegen die Art meiner
Väter und meines Geschlechts und gegen den Willen meines Großvaters. In
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik