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Radetzkymarsch
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wollte aufstehn und weglaufen, denn er schĂ€mte sich sehr. Ich weine ja! dachte er, ich weine ja! Er fĂŒhlte sich ohnmĂ€chtig, grenzenlos ohnmĂ€chtig gegenĂŒber der unbegreiflichen Macht, die ihn zwang zu weinen. Er lieferte sich ihr willig aus. Er ergab sich der Wonne seiner Ohnmacht. Er hörte sein Stöhnen und genoß es, schĂ€mte sich und genoß noch seine Scham. Er warf sich dem sĂŒĂŸen Schmerz in die Arme und wiederholte sinnlos, unter fortwĂ€hrendem Schluchzen, ein paarmal hintereinander: »Ich will nicht, daß du stirbst, ich will nicht, daß du stirbst, ich will nicht! Ich will nicht!« Doktor Demant erhob sich, ging ein paarmal durch die KĂŒche, verharrte vor dem PortrĂ€t des Obersten Kriegsherrn, begann, die schwarzen Fliegentupfen auf dem Rock des Kaisers zu zĂ€hlen, unterbrach seine törichte BeschĂ€ftigung, trat zu Carl Joseph, legte seine HĂ€nde sachte auf die zuckenden Schultern und nĂ€herte seine funkelnden BrillenglĂ€ser dem hellbraunen Scheitel des Leutnants. Er hatte, der kluge Doktor Demant, bereits mit der Welt Schluß gemacht, seine Frau zu ihrem Vater nach Wien geschickt, seinen Burschen beurlaubt, sein Haus verschlossen. Im Hotel zum goldenen BĂ€ren wohnte er seit dem Ausbruch der unseligen AffĂ€re. Er war fertig. Seitdem er angefangen hatte, den ungewohnten Schnaps zu trinken, war es ihm sogar möglich gewesen, in diesem sinnlosen Duell irgendeinen geheimen Sinn zu finden, den Tod herbeizuwĂŒnschen als den gesetzmĂ€ĂŸigen Abschluß seiner irrtĂŒmlichen Laufbahn, ja einen Schimmer der jenseitigen Welt zuerahnen, an die er immer geglaubt hatte. Lange noch vor der Gefahr, in die er sich nun begab, waren ihm ja die GrĂ€ber vertraut gewesen und die toten Freunde. Ausgelöscht war die kindische Liebe zu seiner Frau. Die Eifersucht, vor wenigen Wochen noch ein schmerzlicher Brand in seinem Herzen, war ein kaltes HĂ€ufchen Asche. Sein Testament, eben geschrieben, an den Obersten adressiert, lag in seiner Rocktasche. Er hatte nichts zu vermachen, weniger Menschen zu gedenken und also nichts vergessen. Der Alkohol machte ihn leicht, ungeduldig nur das Warten. Sieben Uhr zwanzig, die Stunde, die fĂŒrchterlich in allen Hirnen seiner Kameraden seit Tagen hĂ€mmerte, schwang in dem seinen wie ein silbernes Glöckchen. Zum erstenmal, seitdem er die Uniform angezogen hatte, fĂŒhlte er sich leicht, stark und mutig. Er genoß die NĂ€he des Todes, wie ein Genesender die NĂ€he des Lebens genießt. Er hatte Schluß gemacht, er war fertig! 
 Nun stand er wieder, kurzsichtig und hilflos wie immer, vor seinem jungen Freund. Ja, es gab noch Jugend und Freundschaft und TrĂ€nen, die um ihn vergossen wurden. Auf einmal fĂŒhlte er wieder Heimweh nach der KĂŒmmerlichkeit seines Lebens, nach der ekelhaften Garnison, der verhaßten Uniform, der Stumpfheit der Marodenvisite, dem Gestank der versammelten und entkleideten Mannschaften, den öden Impfungen, dem Karbolgeruch des Spitals, den hĂ€ĂŸlichen Launen seiner Frau, der wohlgesicherten Enge seines 93
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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