Page - 93 - in Radetzkymarsch
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wollte aufstehn und weglaufen, denn er schÀmte sich sehr. Ich weine ja!
dachte er, ich weine ja! Er fĂŒhlte sich ohnmĂ€chtig, grenzenlos ohnmĂ€chtig
gegenĂŒber der unbegreiflichen Macht, die ihn zwang zu weinen. Er lieferte
sich ihr willig aus. Er ergab sich der Wonne seiner Ohnmacht. Er hörte sein
Stöhnen und genoà es, schÀmte sich und genoà noch seine Scham. Er warf
sich dem sĂŒĂen Schmerz in die Arme und wiederholte sinnlos, unter
fortwĂ€hrendem Schluchzen, ein paarmal hintereinander: »Ich will nicht, daĂ
du stirbst, ich will nicht, daà du stirbst, ich will nicht! Ich will nicht!«
Doktor Demant erhob sich, ging ein paarmal durch die KĂŒche, verharrte
vor dem PortrÀt des Obersten Kriegsherrn, begann, die schwarzen
Fliegentupfen auf dem Rock des Kaisers zu zÀhlen, unterbrach seine törichte
BeschÀftigung, trat zu Carl Joseph, legte seine HÀnde sachte auf die
zuckenden Schultern und nÀherte seine funkelnden BrillenglÀser dem
hellbraunen Scheitel des Leutnants. Er hatte, der kluge Doktor Demant,
bereits mit der Welt SchluĂ gemacht, seine Frau zu ihrem Vater nach Wien
geschickt, seinen Burschen beurlaubt, sein Haus verschlossen. Im Hotel zum
goldenen BÀren wohnte er seit dem Ausbruch der unseligen AffÀre. Er war
fertig. Seitdem er angefangen hatte, den ungewohnten Schnaps zu trinken,
war es ihm sogar möglich gewesen, in diesem sinnlosen Duell irgendeinen
geheimen Sinn zu finden, den Tod herbeizuwĂŒnschen als den gesetzmĂ€Ăigen
AbschluĂ seiner irrtĂŒmlichen Laufbahn, ja einen Schimmer der jenseitigen
Welt zuerahnen, an die er immer geglaubt hatte. Lange noch vor der Gefahr,
in die er sich nun begab, waren ihm ja die GrÀber vertraut gewesen und die
toten Freunde. Ausgelöscht war die kindische Liebe zu seiner Frau. Die
Eifersucht, vor wenigen Wochen noch ein schmerzlicher Brand in seinem
Herzen, war ein kaltes HĂ€ufchen Asche. Sein Testament, eben geschrieben, an
den Obersten adressiert, lag in seiner Rocktasche. Er hatte nichts zu
vermachen, weniger Menschen zu gedenken und also nichts vergessen. Der
Alkohol machte ihn leicht, ungeduldig nur das Warten. Sieben Uhr zwanzig,
die Stunde, die fĂŒrchterlich in allen Hirnen seiner Kameraden seit Tagen
hÀmmerte, schwang in dem seinen wie ein silbernes Glöckchen. Zum
erstenmal, seitdem er die Uniform angezogen hatte, fĂŒhlte er sich leicht, stark
und mutig. Er genoĂ die NĂ€he des Todes, wie ein Genesender die NĂ€he des
Lebens genieĂt. Er hatte SchluĂ gemacht, er war fertig! âŠ
Nun stand er wieder, kurzsichtig und hilflos wie immer, vor seinem jungen
Freund. Ja, es gab noch Jugend und Freundschaft und TrÀnen, die um ihn
vergossen wurden. Auf einmal fĂŒhlte er wieder Heimweh nach der
KĂŒmmerlichkeit seines Lebens, nach der ekelhaften Garnison, der verhaĂten
Uniform, der Stumpfheit der Marodenvisite, dem Gestank der versammelten
und entkleideten Mannschaften, den öden Impfungen, dem Karbolgeruch des
Spitals, den hĂ€Ălichen Launen seiner Frau, der wohlgesicherten Enge seines
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Ăsterreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik