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Radetzkymarsch
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Page - 104 - in Radetzkymarsch

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wer weiß, wie jämmerlich man durch dieses schwere Leben torkeln müßte. Mutig wurde man nur, wenn man an den Helden von Solferino dachte. Immer mußte man beim Großvater einkehren, um sich ein bißchen zu stärken. Und der Leutnant machte sich langsam auf den schweren Weg. Es war drei Uhr nachmittags. Die kleinen Kaufleute warteten kümmerlich und erfroren vor den Läden auf ihre spärlichen Kunden. Aus den Werkstätten der Handwerker klangen trauliche und fruchtbare Geräusche. Es hämmerte fröhlich in der Schmiede, beim Klempner schepperte der hohle, blecherne Donner, es klapperte hurtig aus dem Keller des Schusters, und beim Tischler surrten die Sägen. Alle Gesichter und alle Geräusche der Werkstätten kannte der Leutnant. Täglich ritt er zweimal an ihnen vorbei. Vom Sattel aus konnte er über die alten, blauweißen Schilder sehen, die sein Kopf überragte. Jeden Tag sah er das Innere der morgendlichen Stuben in den ersten Stockwerken, die Betten, die Kaffeekannen, die Männer in Hemden, die Frauen mit offenen Haaren, die Blumentöpfe an den Fensterbrettern, gedörrtes Obst und eingelegte Gurken hinter verzierten Gittern. Nun stand er vor der Villa Doktor Demants. Das Tor knarrte. Er trat ein. Der Bursche öffnete. Der Leutnant wartete. Frau Demant kam. Er zitterte ein wenig. Er erinnerte sich an den Kondolenzbesuch beim Wachtmeister Slama. Er fühlte die schwere, feuchte, kalte und lockere Hand des Wachtmeisters. Er sah das dunkle Vorzimmer und den rötlichen Salon. Er spürte im Gaumen den schalen Nachgeschmack des Himbeerwassers. Sie ist also nicht in Wien, dachte der Leutnant, erst in dem Augenblick, in dem er die Witwe erblickte. Ihr schwarzes Kleid überraschte ihn. Es war, als erführe er jetzt erst, daß Frau Demant die Witwe des Regimentsarztes sei. Auch das Zimmer, das man jetzt betrat, war nicht das gleiche, in dem man zu Lebzeiten des Freundes gesessen hatte. An der Wand hing, schwarz umflort, das große Bildnis des Toten. Es rückte immer weiter, ähnlich wie der Kaiser im Kasino, als wäre es nicht den Augen nahe und den Händen greifbar, sondern unerreichbar weit hinter der Wand, wie durch ein Fenster gesehen. »Danke, daß Sie gekommen sind!« sagte Frau Demant. »Ich wollte mich verabschieden«, erwiderte Trotta. Frau Demant erhob ihr blasses Angesicht. Der Leutnant sah den schönen, grauen, hellen Glanz ihrer großen Augen. Sie waren geradeaus gegen sein Gesicht gerichtet, zwei runde Lichter aus blankem Eis. Im winterlichen Nachmittagsdämmer des Zimmers leuchteten nur die Augen der Frau. Der Blick des Leutnants floh zu ihrer schmalen, weißen Stirn und weiter zur Wand, zum fernen Bildnis des toten Mannes. Die Begrüßung dauerte viel zu lange, es war Zeit, daß Frau Demant zum Sitzen aufforderte. Aber sie sagte nichts. Indessen fühlte man, wie die Dunkelheit des nahenden Abends durch die Fenster fiel, und hatte kindische Angst, daß in diesem Hause niemals ein Licht entzündet würde. Kein passendes Wort kam dem Leutnant zu Hilfe. Er 104
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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