Page - 119 - in Radetzkymarsch
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Denkmal aus leblosem Stoff. Wieder andere schossen, während sie
pfeilschnell dahinflogen (und sie selbst, die Schützen, sahen aus wie
Geschosse), nach fliegenden Zielen, die seitwärts von ihnen dahinjagende
Reiter auf großen, runden, weißen Scheiben hielten: Die Schützen
galoppierten, schossen und trafen. So mancher sank vom Pferd. Die
Kameraden, die ihm folgten, huschten über seinen Leib, kein Huf traf ihn. Es
gab Reiter, die ein Pferd neben sich dahergaloppieren ließen und im Galopp
aus einem Sattel in den andern sprangen, in den ersten zurückkehrten,
plötzlich wieder auf das begleitende Roß fielen und schließlich, beide Hände
auf je einen Sattel gestützt, die Beine schlenkernd zwischen den Leibern der
Tiere, mit einem Ruck am angegebenen Ziel stehenblieben, beide Rösser
haltend, daß sie reglos dastanden wie Pferde aus Bronze.
Diese Reiterfeste der Kosaken waren nicht die einzigen in dem Grenzgebiet
zwischen der Monarchie und Rußland. In der Garnison stationierte noch ein
Dragonerregiment. Zwischen den Offizieren des Jägerbataillons, denen des
Dragonerregiments und den Herren der russischen Grenzregimenter stellte der
Graf Chojnicki die innigsten Beziehungen her, einer der reichsten polnischen
Grundbesitzer der Gegend. Graf Wojciech Chojnicki, verwandt mit den
Ledochowskis und den Potockis, verschwägert mit den Sternbergs, befreundet
mit den Thuns, Kenner der Welt, vierzig Jahre alt, aber ohne erkennbares
Alter, Rittmeister der Reserve, Junggeselle, leichtlebig und schwermütig zu
gleicher Zeit, liebte die Pferde, den Alkohol, die Gesellschaft, den Leichtsinn
und auch den Ernst. Den Winter verbrachte er in großen Städten und in den
Spielsälen der Riviera. Wie ein Zugvogel pflegte er, wenn der Goldregen an
den Dämmen der Eisenbahn zu blühen begann, in die Heimat seiner Ahnen
zurückzukehren. Er brachte mit sich einen leicht parfümierten Hauch der
großen Welt und galante und abenteuerliche Geschichten. Er gehörte zu den
Leuten, die keine Feinde haben können, aber auch keine Freunde, lediglich
Gefährten, Genossen und Gleichgültige. Mit seinen hellen, klugen, ein wenig
hervorquellenden Augen, seiner spiegelnden, kugelblanken Glatze, seinem
kleinen, blonden Schnurrbärtchen, den schmalen Schultern, den übermäßig
langen Beinen gewann Chojnicki die Zuneigung aller Menschen, denen er
zufällig oder absichtlich in den Weg kam.
Er bewohnte abwechselnd zwei Häuser, die als »altes« und als »neues
Schloß« bei der Bevölkerung bekannt und respektiert waren. Das sogenannte
»alte Schloß« war ein größerer, baufälliger Jagdpavillon, den der Graf aus
unerforschlichen Gründen nicht instand setzen wollte. Das »neue Schloß« war
eine geräumige, einstöckige Villa, deren oberes Geschoß jederzeit von
merkwürdigen und manchmal auch von unheimlichen Fremden bewohnt
wurde. Es waren die »armen Verwandten« des Grafen. Ihm wäre es, selbst
beim eifrigsten Studium seiner Familiengeschichte, nicht möglich gewesen,
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik