Page - 123 - in Radetzkymarsch
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Sprengwagen, von zwei schwerfälligen braunen Rössern gezogen, kam über
das holprige Kopfsteinpflaster dahergerattert. Der Kutscher auf dem hohen
Bock senkte, sobald er den Bezirkshauptmann erblickte, die Peitsche, schlang
die Zügel um den Griff der Bremse und zog die Mütze so tief, daß sie seine
Knie berührte. Es war der einzige Mensch des Städtchens, ja des Bezirks, dem
Herr von Trotta mit der Hand heiter, beinahe übermütig zuwinkte. Am
Eingang zum Stadtpark salutierte der Gemeindepolizist. Diesem sagte der
Bezirkshauptmann ein herzliches »Grüß Gott!«, ohne die Hand zu rühren.
Hierauf begab er sich zu der blonden Inhaberin des Sodawasserpavillons. Hier
lüftete er ein wenig den Halbzylinder, trank einen Kelch Magenwasser, zog
eine Münze aus der Westentasche, ohne die grauen Handschuhe abzulegen,
und setzte seinen Spaziergang fort. Bäcker, Schornsteinfeger, Gemüsehändler,
Fleischhauer begegneten ihm. Jedermann grüßte. Der Bezirkshauptmann
erwiderte, indem er den Zeigefinger sachte an den Hutrand legte. Erst vor
dem Apotheker Kronauer, der ebenfalls Morgenspaziergänge liebte und
übrigens Gemeinderat war, zog Herr von Trotta den Hut. Manchmal sagte er:
»Guten Morgen, Herr Apotheker!«, blieb stehen und fragte: »Wie geht’s?«
»Ausgezeichnet!« sagte der Apotheker. »Das freut mich!« bemerkte der
Bezirkshauptmann, lüftete noch einmal den Hut und setzte seine Wanderung
fort.
Er kam nicht vor acht Uhr zurück. Manchmal begegnete er dem Briefträger
im Flur oder auf der Treppe. Dann ging er noch für eine Weile in die Kanzlei.
Denn er liebte es, die Briefe schon neben dem Tablett beim Frühstück
vorzufinden. Es war ihm unmöglich, jemanden während des Frühstücks zu
sehn oder gar zu sprechen. Der alte Jacques mochte noch von ungefähr
eintreten, an Wintertagen, um im Ofen nachzusehn, an sommerlichen, um das
Fenster zu schließen, wenn es zufällig allzu stark regnete. Von Fräulein
Hirschwitz konnte keine Rede sein. Vor ein Uhr mittag war ihr Anblick dem
Bezirkshauptmann ein Greuel.
Eines Tages, es war Ende Mai, kehrte Herr von Trotta fünf Minuten nach
acht von seinem Spaziergang heim. Der Briefträger mußte längst dagewesen
sein. Herr von Trotta setzte sich an den Tisch im Frühstückszimmer. Das Ei
stand, »kernweich« wie immer, auch heute im silbernen Becher. Golden
schimmerte der Honig, die frischen Kaisersemmeln dufteten nach Feuer und
Hefe wie alle Tage; die Butter leuchtete gelb, gebettet in ein riesiges,
dunkelgrünes Blatt, im goldgeränderten Porzellan dampfte der Kaffee. Nichts
fehlte. Wenigstens schien es Herrn von Trotta im ersten Augenblick, daß gar
nichts fehlte. Aber gleich darauf erhob er sich, legte die Serviette wieder hin
und überprüfte noch einmal den Tisch. Am gewohnten Platz fehlten die
Briefe. Es war, soweit sich der Bezirkshauptmann erinnern konnte, kein Tag
ohne dienstliche Post vergangen. Herr von Trotta ging zuerst zum offenen
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik