Page - 125 - in Radetzkymarsch
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Krankheit weiterlebten, soweit sich Herr von Trotta erinnern konnte, war in
seiner näheren und weiteren Umgebung keine derartige Ausnahme zu
bemerken.
Er klingelte noch einmal. »Ich möchte die Post«, sagte er zu Fräulein
Hirschwitz, »aber schicken Sie sie mit irgend jemandem, bitte! – Was fehlt
denn dem Jacques übrigens?«
»Er hat Fieber!« sagte Fräulein Hirschwitz. »Er wird sich erkältet haben!«
»Erkältet?! Im Mai!?«
»Er ist nicht mehr jung!«
»Lassen Sie den Doktor Sribny kommen!«
Dieser Doktor war der Bezirksarzt. Er amtierte in der
Bezirkshauptmannschaft von neun bis zwölf. Bald mußte er da sein. Nach
Ansicht des Bezirkshauptmanns war er ein »honetter Mann«.
Indessen brachte der Amtsdiener die Post. Der Bezirkshauptmann sah nur
die Umschläge an, gab sie zurück und befahl, sie in die Kanzlei zu legen. Er
stand am Fenster und konnte sich nicht genug darĂĽber verwundern, daĂź die
Welt draußen noch gar nichts von den Veränderungen in seinem Hause zu
wissen schien. Er hatte heute weder gegessen noch die Post gelesen. Jacques
lag an einer rätselhaften Krankheit danieder. Und das Leben ging weiter
seinen gewohnten Gang.
Sehr langsam, mit mehreren unklaren Gedanken beschäftigt, schritt Herr
von Trotta ins Amt, zwanzig Minuten später als sonst setzte er sich an den
Schreibtisch. Der erste Bezirkskommissär kam, Bericht zu erstatten. Es hatte
gestern wieder eine Versammlung tschechischer Arbeiter gegeben. Ein
Sokolfest war angesagt, Delegierte aus »slawischen Staaten« – gemeint waren
Serbien und RuĂźland, aber im dienstlichen Dialekt niemals namentlich
erwähnt – sollten morgen schon kommen. Auch die Sozialdemokraten
deutscher Zunge machten sich bemerkbar. In der Spinnerei wurde ein Arbeiter
von seinen Kameraden geschlagen, angeblich und nach den Spitzelberichten,
weil er es ablehnte, in die rote Partei einzutreten. All dies bekĂĽmmerte den
Bezirkshauptmann, es schmerzte ihn, es kränkte ihn, es verwundete ihn.
Alles, was die ungehorsamen Teile der Bevölkerung unternahmen, um den
Staat zu schwächen, Seine Majestät den Kaiser mittelbar oder unmittelbar zu
beleidigen, das Gesetz ohnmächtiger zu machen, als es ohnehin schon war,
die Ruhe zu stören, den Anstand zu verletzen, die Würde zu verhöhnen,
tschechische Schulen zu errichten, oppositionelle Abgeordnete durchzusetzen:
all das waren gegen ihn selbst, den Bezirkshauptmann, unternommene
Handlungen. Zuerst hatte er die Nationen, die Autonomie und das »Volk«, das
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Ă–sterreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik