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Radetzkymarsch
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Kuppelknauf seines Käfigs, neben dem Fenster mit der etwas kurzen, weißen Gardine, hinter der die Scheibe ausgewachsen erschien. Der glattgehobelte Tisch war an die Wand gerückt. Über ihm hing eine blaue Petroleumlampe, mit rundem Spiegel und Lichtverstärker. Die Heilige Mutter Gottes stand in einem großen Rahmen auf dem Tisch, gegen die Mauer gelehnt, wie etwa Porträts von Verwandten aufgestellt werden. Im Bett, mit dem Kopf gegen die Fensterwand, unter einem weißen Berg von Tüchern und Kissen, lag Jacques. Er glaubte, der Priester sei gekommen, und seufzte tief und befreit, als käme schon zu ihm die Gnade. »Ach, Herr Baron!« sagte er dann. Der Bezirkshauptmann trat nahe an den Alten. In einem ähnlichen Zimmer, in den Ubikationen der Laxenburger Invaliden, war der Großvater des Bezirkshauptmanns aufgebahrt gelegen, der Wachtmeister der Gendarmerie. Der Bezirkshauptmann sah noch den gelben Glanz der großen, weißen Kerzen im Halbdämmer des verhängten Zimmers, und die übergroßen Stiefelsohlen der festlich bekleideten Leiche erhoben sich hart vor seinem Angesicht. Kam nun bald an Jacques die Reihe? Der Alte stützte sich auf den Ellenbogen. Er trug eine gestickte Schlafmütze aus dunkelblauer Wolle, zwischen den dichten Maschen schimmerte sein silbernes Kopfhaar. Sein glattrasiertes Angesicht, knochig und vom Fieber gerötet, erinnerte an gefärbtes Elfenbein. Der Bezirkshauptmann setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett und sagte: »Na, das ist ja nicht so schlimm, sagt mir eben der Doktor. Wird ein Katarrh sein!« »Jawohl, Herr Baron!« erwiderte Jacques und machte unter der Decke einen schwachen Versuch, die Fersen zusammenzuschlagen. Er setzte sich aufrecht. »Ich bitte um Entschuldigung!« fügte er hinzu. »Morgen, denk’ ich, wird’s vorbei sein!« »In einigen Tagen, ganz gewiß!« »Ich warte auf den Geistlichen, Herr Baron!« »Ja, ja«, sagte Herr von Trotta, »er wird schon kommen. Dazu ist noch lange Zeit!« »Er ist schon unterwegs!« erwiderte Jacques in einem Ton, als sähe er den Geistlichen mit eigenen Augen näher kommen. »Er kommt schon«, fuhr er fort, und er schien plötzlich nicht mehr zu wissen, daß der Bezirkshauptmann neben ihm saß. »Wie der selige Herr Baron gestorben ist«, sprach er weiter, »haben wir alle nichts gewußt. Am Morgen, oder war’s ein Tag vorher, ist er noch in den Hof gekommen und hat gesagt: ›Jacques, wo sind die Stiefel?‹ Ja, ein Tag vorher ist das gewesen. Und am Morgen hat er sie nicht mehr gebraucht. Der Winter hat dann gleich angefangen, es war ein ganz kalter Winter. Bis zum Winter, glaub’ ich, werd’ ich auch noch durchhalten. Bis zum Winter ist gar nicht mehr so weit, ein wenig Geduld muß ich halt haben. Jetzt haben wir schon Juli, also Juli, Juni, Mai, April, August, November, und zu Weihnachten, denk’ ich, kann’s ausgehn, abmarschieren, Kompanie, marsch!« Er hörte auf und sah mit großen, glänzenden, blauen Augen durch den Bezirkshauptmann wie durch Glas. 128
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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