Page - 128 - in Radetzkymarsch
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Kuppelknauf seines Käfigs, neben dem Fenster mit der etwas kurzen, weißen
Gardine, hinter der die Scheibe ausgewachsen erschien. Der glattgehobelte
Tisch war an die Wand gerückt. Über ihm hing eine blaue Petroleumlampe,
mit rundem Spiegel und Lichtverstärker. Die Heilige Mutter Gottes stand in
einem großen Rahmen auf dem Tisch, gegen die Mauer gelehnt, wie etwa
Porträts von Verwandten aufgestellt werden. Im Bett, mit dem Kopf gegen die
Fensterwand, unter einem weißen Berg von Tüchern und Kissen, lag Jacques.
Er glaubte, der Priester sei gekommen, und seufzte tief und befreit, als käme
schon zu ihm die Gnade. »Ach, Herr Baron!« sagte er dann. Der
Bezirkshauptmann trat nahe an den Alten. In einem ähnlichen Zimmer, in den
Ubikationen der Laxenburger Invaliden, war der Großvater des
Bezirkshauptmanns aufgebahrt gelegen, der Wachtmeister der Gendarmerie.
Der Bezirkshauptmann sah noch den gelben Glanz der großen, weißen Kerzen
im Halbdämmer des verhängten Zimmers, und die übergroßen Stiefelsohlen
der festlich bekleideten Leiche erhoben sich hart vor seinem Angesicht. Kam
nun bald an Jacques die Reihe? Der Alte stützte sich auf den Ellenbogen. Er
trug eine gestickte Schlafmütze aus dunkelblauer Wolle, zwischen den dichten
Maschen schimmerte sein silbernes Kopfhaar. Sein glattrasiertes Angesicht,
knochig und vom Fieber gerötet, erinnerte an gefärbtes Elfenbein. Der
Bezirkshauptmann setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett und sagte: »Na,
das ist ja nicht so schlimm, sagt mir eben der Doktor. Wird ein Katarrh sein!«
»Jawohl, Herr Baron!« erwiderte Jacques und machte unter der Decke einen
schwachen Versuch, die Fersen zusammenzuschlagen. Er setzte sich aufrecht.
»Ich bitte um Entschuldigung!« fügte er hinzu. »Morgen, denk’ ich, wird’s
vorbei sein!« »In einigen Tagen, ganz gewiß!« »Ich warte auf den
Geistlichen, Herr Baron!« »Ja, ja«, sagte Herr von Trotta, »er wird schon
kommen. Dazu ist noch lange Zeit!« »Er ist schon unterwegs!« erwiderte
Jacques in einem Ton, als sähe er den Geistlichen mit eigenen Augen näher
kommen. »Er kommt schon«, fuhr er fort, und er schien plötzlich nicht mehr
zu wissen, daß der Bezirkshauptmann neben ihm saß. »Wie der selige Herr
Baron gestorben ist«, sprach er weiter, »haben wir alle nichts gewußt. Am
Morgen, oder war’s ein Tag vorher, ist er noch in den Hof gekommen und hat
gesagt: ›Jacques, wo sind die Stiefel?‹ Ja, ein Tag vorher ist das gewesen.
Und am Morgen hat er sie nicht mehr gebraucht. Der Winter hat dann gleich
angefangen, es war ein ganz kalter Winter. Bis zum Winter, glaub’ ich, werd’
ich auch noch durchhalten. Bis zum Winter ist gar nicht mehr so weit, ein
wenig Geduld muß ich halt haben. Jetzt haben wir schon Juli, also Juli, Juni,
Mai, April, August, November, und zu Weihnachten, denk’ ich, kann’s
ausgehn, abmarschieren, Kompanie, marsch!« Er hörte auf und sah mit
großen, glänzenden, blauen Augen durch den Bezirkshauptmann wie durch
Glas.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik