Page - 138 - in Radetzkymarsch
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Sie fuhren in die Stadt. »Na, gar so wild ist es hier nicht!« sagte der
Bezirkshauptmann. »Amüsiert man sich hier?«
»Sehr viel!« sagte Carl Joseph. »Beim Grafen Chojnicki. Da kommt alle
Welt zusammen. Du wirst ihn sehen. Ich hab’ ihn sehr gern.«
»Das war’ also der erste Freund, den du je gehabt hast?«
»Der Regimentsarzt Max Demant war’s auch«, erwiderte Carl Joseph.
»Hier ist dein Zimmer, Papa!« sagte der Leutnant. »Die Kameraden
wohnen hier und machen manchmal Lärm in der Nacht. Aber es gibt kein
anderes Hotel. Sie werden sich auch zusammennehmen, solang du da bist!«
»Macht nix, macht nix!« sagte der Bezirkshauptmann.
Er packte aus dem Koffer eine runde Blechdose, öffnete den Deckel und
zeigte sie Carl Joseph. »Da ist so eine Wurzel – soll gegen Sumpffieber gut
sein. Jacques schickt sie dir!«
»Was macht er?«
»Er ist schon drüben!« Der Bezirkshauptmann zeigte auf die Decke.
»Er ist drüben!« wiederholte der Leutnant. Dem Bezirkshauptmann war es,
als spräche ein alter Mann. Der Sohn mochte viele Geheimnisse haben. Der
Vater kannte sie nicht. Man sagte: Vater und Sohn, aber zwischen beiden
lagen viele Jahre, große Berge! Man wußte nicht viel mehr von Carl Joseph
als von einem andern Leutnant. Er war zur Kavallerie eingerückt und hatte
sich dann zur Infanterie transferieren lassen. Die grünen Aufschläge der Jäger
trug er statt der roten der Dragoner. Nun ja! Mehr wußte man nicht! Man
wurde offenbar alt. Man wurde alt. Man gehörte nicht ganz dem Dienst mehr
und nichtden Pflichten! Man gehörte zu Jacques und zu Carl Joseph. Man
brachte die steinharte, verwitterte Wurzel von einem zum andern.
Der Bezirkshauptmann öffnete den Mund, immer noch gebeugt über den
Koffer. Er sprach in den Koffer hinein wie in ein offenes Grab. Aber er sagte
nicht, wie er gewollt hatte: Ich hab’ dich lieb, mein Sohn!, sondern: »Er ist
sehr leicht gestorben! Es war ein echter Maiabend, und alle Vögel haben
gepfiffen. Erinnerst dich an den Kanarienvogel? Der hat am lautesten
gezwitschert. Jacques hat alle Stiefel geputzt. Dann erst ist er gestorben, im
Hof, auf der Bank! Der Slama ist auch dabeigewesen. Am Vormittag nur hat
er Fieber gehabt. Ich soll dich schön grüßen!«
Dann blickte der Bezirkshauptmann vom Koffer auf und sah seinem Sohn
ins Gesicht:
»Genauso möcht’ ich auch einmal sterben!«
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik