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Radetzkymarsch
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Der Bezirkshauptmann erhob sich. Niemals hätte er geglaubt, daß es einen Menschen in der Welt gebe, der sagen könnte, Gott habe den Kaiser verlassen. Dennoch schien ihm, der zeit seines Lebens die Angelegenheiten des Himmels den Theologen überlassen und im übrigen die Kirche, die Messe, die Zeremonie am Fronleichnamstag, den Klerus und den lieben Gott für Einrichtungen der Monarchie gehalten hatte, auf einmal der Satz des Grafen alle Wirrnis zu erklären, die er in den letzten Wochen und besonders seit dem Tode des alten Jacques gefühlt hatte. Gewiß, Gott hatte den alten Kaiser verlassen! Der Bezirkshauptmann machte ein paar Schritte, unter seinen Füßen knarrten die alten Dielen. Er trat zum Fenster und sah durch die Ritzen der Jalousien die schmalen Streifen der dunkelblauen Nacht. Alle Vorgänge der Natur und alle Ereignisse des täglichen Lebens erhielten auf einmal einen bedrohlichen und unverständlichen Sinn. Unverständlich war der wispernde Chor der Grillen, unverständlich das Flimmern der Sterne, unverständlich das samtene Blau der Nacht, unverständlich war dem Bezirkshauptmann seine Reise an die Grenze und sein Aufenthalt bei diesem Grafen. Er kehrte an den Tisch zurück, mit der Hand strich er einen Flügel seines Backenbartes, wie er es zu tun pflegte, wenn er ein wenig ratlos war. Ein wenig ratlos! So ratlos wie jetzt war er nie gewesen! Vor ihm stand noch ein volles Glas. Er trank es schnell. »Also«, sagte er, »glauben Sie, glauben Sie, daß wir – –« »verloren sind«, ergänzte Chojnicki. »Verloren sind wir, Sie und Ihr Sohn und ich. Wir sind, sage ich, die Letzten einer Welt, in der Gott noch die Majestäten begnadet und Verrückte wie ich Gold machen. Hören Sie! Sehen Sie!« Und Chojnicki erhob sich, ging an die Tür, drehte einen Schalter, und an dem großen Lüster erstrahlten die Lampen. »Sehen Sie!« sagte Chojnicki, »dies ist die Zeit der Elektrizität, nicht der Alchimie. Der Chemie auch, verstehen Sie! Wissen Sie, wie das Ding heißt? Nitroglyzerin«, der Graf sprach jede einzelne Silbe getrennt aus. »Nitroglyzerin!« wiederholte er. »Nicht mehr Gold! Im Schloß Franz Josephs brennt man oft noch Kerzen! Begreifen Sie? Durch Nitroglyzerin und Elektrizität werden wir zugrunde gehn! Es dauert gar nicht mehr lang, gar nicht mehr lang!« Der Glanz, den die elektrischen Lampen verbreiteten, weckte an den Wänden auf den Regalen grüne, rote und blaue, schmale und breite zitternde Reflexe in den Glasröhren. Still und blaß saß Carl Joseph da. Er hatte die ganze Zeit getrunken. Der Bezirkshauptmann sah zum Leutnant hin. Er dachte an seinen Freund, den Maler Moser. Und da er selbst schon getrunken hatte, der alte Herr von Trotta, erblickte er, wie in einem sehr entfernten Spiegel, das blasse Abbild seines betrunkenen Sohnes unter den grünen Bäumen des Volksgartens, mit einem Schlapphut am Kopfe, einer großen 144
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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