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Radetzkymarsch
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Bahnhof zumHotel, vom Hotel zur Grenze und wieder zurück ins Städtchen. Die verdrossenen Händler lächelten. Lichter schienen die dunklen Läden zu werden, bunter die ausgelegten Waren, Nacht für Nacht sang die »Nachtigall von Mariahilf«. Und als hätte ihr Gesang noch andere Schwestern geweckt, kamen nie gesehene, neue, geputzte Mädchen ins Café. Man rückte die Tische auseinander und tanzte zu den Walzern von Lehár. Die ganze Welt war verändert. – Ja, die ganze Welt! An anderen Stellen zeigten sich sonderbare Plakate, wie man sie hierorts noch niemals gesehen hat. In allen Landessprachen fordern sie die Arbeiter der Borstenfabrik auf, die Arbeit niederzulegen. Die Borstenfabrikation ist die einzige, armselige Industrie dieser Gegend. Die Arbeiter sind arme Bauern. Ein Teil von ihnen lebt im Winter vom Holzhacken, im Herbst von Erntearbeiten. Im Sommer müssen alle in die Borstenfabrik. Andere kommen aus den niederen Schichten der Juden. Sie können nicht rechnen und nicht handeln, sie haben auch kein Handwerk gelernt. Weit und breit, wohl zwanzig Meilen in der Runde, gibt es keine andere Fabrik. Für die Herstellung von Borsten bestanden unbequeme und kostspielige Vorschriften; die Fabrikanten hielten sie nicht gerne ein. Man mußte Staub und Bazillen absondernde Masken für die Arbeiter anschaffen, große und lichte Räume anlegen, die Abfälle zweimal täglich verbrennen lassen und anstelle der Arbeiter, die zu husten anfingen, andere aufnehmen. Denn alle, die sich mit der Reinigung der Borsten abgaben, begannen nach kurzer Zeit, Blut zu spucken. Die Fabrik war ein altes, baufälliges Gemäuer mit kleinen Fenstern, einem schadhaften Schieferdach, umzäunt von einer wildwuchernden Weidenhecke und umgeben von einem wüsten, breiten Platz, auf dem seit undenklichen Jahren Mist abgelagert wurde, tote Katzen und Ratten der Fäulnis ausgeliefert waren, Blechgeschirre rosteten, zerbrochene irdene Töpfe neben zerschlissenen Schuhen lagerten. Ringsum dehnten sich Felder, voll vom goldenen Segen des Korns, durchzirpt vom unaufhörlichen Gesang der Grillen, und dunkelgrüne Sümpfe, ständig widerhallend vom fröhlichen Lärm der Frösche. Vor den kleinen, grauen Fenstern, an denen die Arbeiter saßen, mit großen, eisernen Harken das dichte Gestrüpp der Borstenbündel unermüdlich kämmend und die trockenen Staubwölkchen schluckend, die jedes neue Bündel gebar, schossen die hurtigen Schwalben vorbei, tanzten die schillernden Sommerfliegen, schwebten weiße und bunte Falter einher, und durch die großen Luken des Daches drang das sieghafte Geschmetter der Lerchen. Die Arbeiter, die erst vor wenigen Monaten aus ihren freien Dörfern gekommen waren, geboren und groß geworden im süßen Atem des Heus, im kalten des Schnees, im beizenden Geruch des Düngers, im schmetternden Lärm der Vögel, im ganzen wechselreichen Segen der Natur: 155
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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