Page - 158 - in Radetzkymarsch
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Stühle. Sachte und gespenstisch schaukelten bei jeder Bewegung der Spieler
die leeren Ärmel. Über den Köpfen lagerte eine dichte Gewitterwolke aus
Zigarettenrauch. Die winzigen Köpfchen der Zigaretten erglommen rötlich
und silbern im grauen Dunst und schickten immer neue, bläuliche
Nebelnahrung zur dichten Gewitterwolke empor. Und unter der sichtbaren
Wolke von Rauch schien eine zweite aus Lärm zu lagern, eine brausende,
brummende, summende Wolke. Schloß man die Augen, so konnte man
glauben, eine ungeheure Schar von Heuschrecken sei mit schrecklichem
Gesang über die sitzenden Menschen losgelassen worden.
Hauptmann Wagner kam völlig verwandelt durch den Vorhang ins Café
zurück. Seine Augen lagen in violetten Höhlen. Über seinen Mund hing
struppig der braune Schnurrbart, dessen eine Hälfte seltsamerweise verkürzt
erschien, und am Kinn standen die rötlichen Bartstoppeln, ein üppiges,
kleines Feld von winzigen Lanzen. »Wo bist du, Trotta?« rief der Hauptmann,
obwohl er Brust an Brust vor dem Leutnant stand. »Zweihundert verloren!«
rief er. »Dies verfluchte Rot! Es ist aus mit meinem Glück im Roulette. Man
muß es anders versuchen!« Und er schleppte Trotta zu den Kartentischen.
Kapturak und Brodnitzer erhoben sich. »Gewonnen?« fragte Kapturak,
denn er sah, daß der Hauptmann verloren hatte. »Verloren, verloren!« brüllte
der Hauptmann.
»Schade, schade!« sagte Kapturak. »Sehen Sie zum Beispiel mich: Wie oft
habe ich schon gewonnen und verloren! Sehen Sie, alles hatte ich schon
verloren! Alles hab’ ich wiedergewonnen! Nicht immer beim selben Spiel
bleiben! Nur nicht immer beim selben Spiel bleiben! Das ist die Hauptsache!«
Hauptmann Wagner hakte den Rockkragen auf. Die gewöhnliche
bräunliche Röte kehrte wieder in sein Gesicht. Sein Schnurrbart ordnete sich
gleichsam von selbst. Er schlug Trotta auf den Rücken. »Du hast noch nie
eine Karte angerührt!« Trotta sah Kapturak ein blankes Spiel neuer Karten
aus der Tasche ziehen und es behutsam auf den Tisch legen, wie um dem
bunten Angesicht der untersten Karte nicht weh zu tun. Er streichelte das
Päckchen mit seinen hurtigen Fingern. Wie dunkelgrüne, glatte Spiegelchen
glänzen die Rücken der Karten. In ihrer sanften Wölbung schwimmen die
Lichter der Decke. Einzelne Karten erheben sich von selbst, stehen senkrecht
auf ihrer scharfen Schmalseite, legen sich bald auf den Rücken und bald auf
den Bauch, sammeln sich zum Häufchen, dieses entblättert sich mit einem
sanften Geknatter, läßt die schwarzen und roten Gesichter wie ein kurzes,
buntes Gewitter vorbeirauschen, schließt sich neuerlich, fällt auf den Tisch,
verteilt in kleinere Häufchen. Diesen entgleiten einzelne Karten, rücken
zärtlich ineinander, jede den halben Rücken der andern deckend, runden sich
hierauf zu einem Kreis, erinnern an eine seltsame umgestülpte und flache
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik