Page - 161 - in Radetzkymarsch
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Der Hauptmann verfluchte seine Gage. Sie war so schäbig, daß sie ihm nicht
erlaubte, »menschenwürdig« zu spielen.
Jetzt, wie sie so gerührt nebeneinandersaßen, alle Welt ringsum vergessen
hatten, aber überzeugt waren, sie wären von aller Welt ringsum vergessen
worden, glaubte der Hauptmann endlich sagen zu können: »Verkauf mir dein
Pferd!« »Ich schenk’s dir«, sagte Trotta gerührt. Ein Geschenk darf man nicht
verkaufen, auch nicht vorübergehend, dachte der Hauptmann und sagte:
»Nein, verkaufen!« »Nimm’s dir!« flehte Trotta. »Ich zahl’s«, beharrte der
Hauptmann.
Sie stritten so einige Minuten. Schließlich erhob sich der Hauptmann,
taumelte ein wenig und schrie: »Ich befehle Ihnen, es mir zu verkaufen!«
»Jawohl, Herr Hauptmann!« sagte Trotta mechanisch. »Ich hab’ aber kein
Geld!« lallte der Hauptmann, setzte sich und wurde wieder gütig. »Das macht
nichts! Ich schenk dir’s.« »Nein, justament nicht! Ich will’s auch gar nicht
mehr kaufen. Wenn ich nur Geld hätte!«
»Ich kann’s einem andern verkaufen!« sagte Trotta. Er leuchtete vor Freude
über diesen ungewöhnlichen Einfall.
»Famos!« rief der Hauptmann. »Aber wem?« »Chojnicki zum Beispiel!«
»Famos!« wiederholte der Hauptmann. »Ich bin ihm fünfhundert Kronen
schuldig!« »Ich übernehme sie!« sagte Trotta.
Weil er getrunken hatte, war sein Herz erfüllt von Mitleid für den
Hauptmann. Dieser arme Kamerad mußte gerettet werden! Er befand sich in
großer Gefahr. Er war ihm ganz vertraut und nahe, der liebe Hauptmann
Wagner. Außerdem hält es der Leutnant in dieser Stunde für unumgänglich
notwendig, ein gutes, tröstliches, vielleicht auch ein großes Wort zu sagen und
eine hilfreiche Tat zu vollbringen. Edelmut, Freundschaft und das Bedürfnis,
sehr stark und hilfreich zu erscheinen, rannen in seinem Herzen zusammen,
gleich drei warmen Strömen. Trotta erhebt sich. Der Morgen ist angebrochen.
Nur einige Lampen brennen noch, schon ermattet vor dem Hellgrau des
Tages, der übermächtig durch die Jalousien eindringt. Außer Herrn Brodnitzer
und seinem einzigen Kellner ist kein Mensch mehr im Lokal. Trostlos und
verraten stehen Tische und Stühle und das Podium, auf dem die »Nachtigall
aus Mariahilf« während der Nacht herumgehüpft ist. Alles Wüste ringsum
weckt schreckliche Bilder von einem plötzlichen Aufbruch, der hier
stattgefunden haben kann, als hätten die Gäste, von einer Gefahr überrascht,
in hellen Scharen das Café auf einmal verlassen. Lange Zigarettenmundstücke
aus Pappe wimmeln in Haufen auf dem Boden neben kurzen Stummeln von
Zigarren. Es sind Überreste russischer Zigaretten und österreichischer
Zigarren, und sie verraten, daß hier Gäste aus dem fremden Lande mit
Einheimischen gespielt und getrunken haben.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik