Page - 172 - in Radetzkymarsch
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Generalmarsch vorbereitet, der kaiser- und königliche Gesang der irdischen,
aber immerhin Apostolischen Armee-Cherubim: »Gott erhalte, Gott
beschütze« über die stehende Volksmenge, die marschierenden Soldaten, die
sachte trabenden Rösser und die lautlos rollenden Wagen. Er schwebte über
allen Köpfen, ein Himmel aus Melodie, ein Baldachin aus schwarz-gelben
Tönen. Und das Herz des Leutnants stand still und klopfte heftig zu gleicher
Zeit – eine medizinische Absonderlichkeit. Zwischen den langsamen Klängen
der Hymne flogen die Hochrufe auf wie weiße Fähnchen zwischen großen,
wappenbemalten Bannern. Der Lipizzanerschimmel kam tänzelnd einher, mit
der majestätischen Koketterie der berühmten Lipizzanerpferde, die im
kaiserlich-königlichen Gestüt ihre Ausbildung genossen. Ihm folgte das
Hufgetrappel der Halbschwadron Dragoner, ein zierlicher Paradedonner. Die
schwarz-goldenen Helme blitzten in der Sonne. Die Rufe der hellen Fanfaren
ertönten, Stimmen fröhlicher Mahner: Habt acht, habt acht, der alte Kaiser
naht!
Und der Kaiser kam: Acht blütenweiße Schimmel zogen seinen Wagen.
Und auf den Schimmeln, in goldbestickten, schwarzen Röcken und mit
weißen Perücken, ritten die Lakaien. Sie sahen aus wie Götter, und sie waren
nur Diener von Halbgöttern. Zu beiden Seiten des Wagens standen je zwei
ungarische Leibgarden mit gelb-schwarzen Pantherfellen über der Schulter.
Sie erinnerten an die Wächter der Mauern von Jerusalem, der heiligen Stadt,
deren König der Kaiser Franz Joseph war. Der Kaiser trug den schneeweißen
Rock, den man von allen Bildern der Monarchie kannte, und einen mächtigen
grünen Papageienfederstrauß über dem Hut. Sachte im Wind wehten die
Federn. Der Kaiser lächelte nach allen Seiten. Auf seinem alten Angesicht lag
das Lächeln wie eine kleine Sonne, die er selbst geschaffen hatte. Vom
Stephansdom dröhnten die Glocken, die Grüße der römischen Kirche,
entboten dem Römischen Kaiser Deutscher Nation. Der alte Kaiser stieg vom
Wagen mit jenem elastischen Schritt, den alle Zeitungen rühmten, und ging in
die Kirche wie ein einfacher Mann; zu Fuß ging er in die Kirche, der
Römische Kaiser Deutscher Nation, umdröhnt von den Glocken.
Kein Leutnant der kaiser- und königlichen Armee hätte dieser Zeremonie
gleichgültig zusehen können. Und Carl Joseph war einer der Empfindlichsten.
Er sah den goldenen Glanz, den die Prozession verströmte, und er hörte nicht
den düstern Flügelschlag der Geier. Denn über dem Doppeladler der
Habsburger kreisten sie schon, die Geier, seine brüderlichen Feinde.
Nein, die Welt ging nicht unter, wie Chojnicki gesagt hatte, man sah mit
eigenen Augen, wie sie lebte! Über die breite Ringstraße zogen die Bewohner
dieser Stadt, fröhliche Untertanen der Apostolischen Majestät, alles Leute aus
seinem Hofgesinde. Die ganze Stadt war nur ein riesengroßer Burghof.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik