Page - 174 - in Radetzkymarsch
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den andern. Man kannte die Jungen und die Alten, die guten Reiter und die
schlechten, die Galanten und die Spieler, die Flotten, die Ehrgeizigen, die
Günstlinge, die Erben einer uralten, durch die Überlieferung geheiligten
sprichwörtlichen und allseits verehrten Dummheit und auch die Klugen, die
morgen an die Macht kommen sollten. Man hörte nur ein zartes Geräusch
wohlerzogener Gabeln und Löffel und an den Tischen jenes lächelnde
Geflüster der Essenden, das lediglich der Angesprochene hört und das der
kundige Nachbar ohnehin errät. Von den weißen Tischtüchern kam ein
friedlicher Glanz, durch die hohen, verhangenen Fenster strömte ein
verschwiegener Tag, aus den Flaschen rann der Wein mit zärtlichem Gurren,
und wer einen Kellner rufen wollte, brauchte nur die Augen zu erheben. Denn
man vernahm in dieser gesitteten Stille den Aufschlag eines Augenlides wie
anderswo einen Ruf. Ja, so begann das, was er »das Leben« nannte und was
zu jener Zeit vielleicht auch das Leben war: die Fahrt im glatten Wagen
zwischen den dichten Gerüchen des gereiften Frühlings, an der Seite einer
Frau, von der man geliebt wurde. Jeder ihrer zärtlichen Blicke schien ihm
seine junge Überzeugung zu rechtfertigen, daß er ein ausgezeichneter Mann
sei von vielen Tugenden und sogar ein »famoser Offizier« in dem Sinne, in
dem man innerhalb der Armee diese Bezeichnung anwandte. Er erinnerte
sich, daß er fast sein ganzes Leben traurig gewesen war, scheu, man konnte
schon sagen: verbittert. Aber so, wie er sich jetzt zu kennen glaubte, begriff er
nicht mehr, warum er traurig, scheu und verbittert gewesen war. Der Tod in
der Nähe hatte ihn erschreckt. Aber auch aus den wehmütigen Gedanken, die
er jetzt Katharina und Max Demant nachsandte, bezog er noch einen Genuß.
Er hatte seiner Meinung nach Hartes durchgemacht. Er verdiente die
zärtlichen Blicke einer schönen Frau. Er sah sie von Zeit zu Zeit dennoch ein
wenig ängstlich an. War’s nicht eine Laune von ihr, ihn mitzunehmen wie
einen Knaben und ihm ein paar gute Tage zu bereiten? Das konnte man sich
nicht gefallen lassen. Er war, wie es bereits feststand, ein ganz famoser
Mensch, und wer ihn liebte, mußte ihn ganz lieben, ehrlich und bis in den
Tod, wie die arme Katharina. Und wer weiß, wie viele Männer dieser schönen
Frau einfielen, während sie ihn ganz allein zu lieben glaubte oder zu lieben
vorgab?! War er eifersüchtig? Gewiß, er war eifersüchtig! Und auch
ohnmächtig, wie ihm gleich darauf einfiel. Eifersüchtig und ohne jedes Mittel,
hierzubleiben oder mit der Frau weiterzufahren, sie zu behalten, solange ihm
beliebte, und sie zu erforschen und sie zu gewinnen. Ja, er war ein kleiner,
armer Leutnant, mit fünfzig Kronen monatlicher Rente vom Vater, und er
hatte Schulden …
»Spielt ihr in eurer Garnison?« fragte Frau von Taußig plötzlich.
»Die Kameraden«, sagte er. »Hauptmann Wagner zum Beispiel. Er verliert
enorm!«
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik