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Radetzkymarsch
Page - 179 -
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es noch unzählige Sonnen auf der Milchstraße gebe und daß jede der Sonnen ihre eigenen Planeten habe und daß man also selbst ein sehr armseliges Individuum wäre, um nicht ganz grob zu sagen: ein Häufchen Dreck! Von seinem Gewinn besaß der Leutnant noch siebenhundert Kronen. Einen Spielsaal noch einmal aufzusuchen, hatte er nicht mehr gewagt; nicht allein aus Angst vor jenem unbekannten Major, der vielleicht vom Stadtkommando bestellt war, jüngere Offiziere zu überwachen, sondern auch aus Angst vor der Erinnerung an seine klägliche Flucht. Ach! Er wußte wohl, daß er noch hundertmal sofort jeden Spielsaal verlassen würde, dem Wunsch und Wink eines Höheren gehorchend. Und wie ein Kind in einer Krankheit verlor er sich mit einem gewissen Wohlbehagen in der schmerzlichen Erkenntnis, daß er unfähig sei, das Glück zu zwingen. Er bedauerte sich außerordentlich. Und es tat ihm in dieser Stunde wohl, sich zu bedauern. Er trank einige Schnäpse. Und sofort fühlte er sich heimisch in seiner Ohnmacht. Und wie einem Menschen, der sich in eine Haft oder in ein Kloster begibt, erschien dem Leutnant das Geld, das er bei sich trug, bedrückend und überflüssig. Er beschloß, es auf einmal auszugeben. Er ging in den Laden, in dem ihm sein Vater die silberne Tabatiere gekauft hatte, und erstand eine Perlenkette für seine Freundin. Blumen in der Hand, die Perlen in der Hosentasche und mit einem kläglichen Gesicht trat er vor Frau von Taußig. »Ich hab’ dir was gebracht«, gestand er, als hätte er sagen wollen: Ich hab’ was für dich gestohlen! Es kam ihm vor, daß er zu Unrecht eine fremde Rolle spiele, die Rolle eines Weltmannes. Und erst in dem Augenblick, da er sein Geschenk in der Hand hielt, fiel ihm ein, daß es lächerlich übertrieben war, ihn selbst erniedrigte und die reiche Frau vielleicht beleidigte. »Ich bitte, es zu entschuldigen!« sagte er also. »Ich wollte eine Kleinigkeit kaufen – aber –« Und er wußte nichts mehr. Und er wurde rot. Und er senkte die Augen. Ach! Er kannte nicht die Frauen, die das Alter nahen sehen, der Leutnant Trotta! Er wußte nicht, daß sie jedes Geschenk wie eine Zaubergabe empfangen, die sie verjüngt, und daß ihre klugen und sehnsüchtigen Augen ganz anders schätzen! Frau von Taußig liebte ja übrigens diese Hilflosigkeit, und je deutlicher seine Jugend wurde, desto jünger wurde sie selbst! Und also flog sie, klug und ungestüm, an seinen Hals, küßte ihn wie ein eigenes Kind, weinte, weil sie ihn nun verlieren sollte, lachte, weil sie ihn noch hielt, und auch ein wenig, weil die Perlen so schön waren, und sagte, durch eine heftige, prachtvolle Flut von Tränen: »Du bist lieb, sehr lieb, mein Junge!« Sie bereute sofort diesen Satz, insbesondere die Worte: mein Junge! Denn sie machten sie älter, als sie in diesem Augenblick tatsächlich war. Zum Glück konnte sie gleich darauf bemerken, daß er stolz war wie auf eine Auszeichnung, die ihm der Oberste Kriegsherr selbst verliehen hätte. Er ist zu jung, dachte sie, um zu wissen, wie alt ich bin! … 179
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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