Page - 181 - in Radetzkymarsch
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sandige Erde unermüdlich erzeugte, hatte der Wind aus vollen Händen über
Dächer, Mauern, Staketenzäune, das hölzerne Pflaster und die vereinzelten
Weiden geschüttet. Ein Staub von Jahrhunderten schien über dieser
vergessenen Welt zu liegen. Man sah keinen Einwohner in den Gassen, und
man konnte glauben, sie seien alle hinter ihren verriegelten Türen und
Fenstern von einem plötzlichen Tod überfallen worden. Doppelte
Wachtposten standen vor der Kaserne. Hier wohnten seit gestern alle
Offiziere, und Brodnitzers Hotel stand leer.
Leutnant Trotta meldete seine Rückkehr beim Major Zoglauer. Von diesem
Vorgesetzten erfuhr er, daß ihm die Reise wohlgetan habe. Nach den
Begriffen eines Mannes, der schon länger als ein Jahrzehnt an der Grenze
diente, konnte eine Reise nicht anders als wohltun. Und als handelte es sich
um eine ganz alltägliche Angelegenheit, sagte der Major dem Leutnant, daß
ein Zug Jäger morgen früh ausrücken und an der Landstraße, gegenüber der
Borstenfabrik, Aufstellung nehmen sollte, um gegebenenfalls gegen
»staatsgefährliche Umtriebe« der streikenden Arbeiter mit der Waffe
vorzugehen. Diesen Zug sollte der Leutnant Trotta kommandieren. Es sei
eigentlich eine Kleinigkeit und Anlaß vorhanden, anzunehmen, daß die
Gendarmerie genüge, um die Leute in gehörigem Respekt zu halten; man
müsse nur kaltes Blut bewahren und nicht zu früh vorgehen; endgültig aber
würde die politische Behörde darüber zu entscheiden haben, ob die Jäger
vorzugehen hätten oder nicht; dies sei für einen Offizier gewiß nicht sehr
angenehm; denn wie käme man schließlich dazu, sich etwas von einem
Bezirkskommissär sagen zu lassen? Schließlich aber sei diese delikate
Aufgabe auch eine Art Auszeichnung für den jüngsten Leutnant des
Bataillons; und endlich hätten die anderen Herren keinen Urlaub gehabt, und
das einfachste Gebot der Kameradschaftlichkeit würde fordern und so
weiter …
»Jawohl, Herr Major!« sagte der Leutnant und trat ab.
Gegen den Major Zoglauer war gar nichts einzuwenden. Er hatte den Enkel
des Helden von Solferino fast gebeten, statt ihm zu befehlen. Der Enkel des
Helden von Solferino hatte ja auch einen unerwarteten, herrlichen Urlaub
gehabt. Er ging jetzt quer über den Hof in die Kantine. Für ihn hatte das
Schicksal diese politische Demonstration vorbereitet. Deshalb war er an die
Grenze gekommen. Er glaubte jetzt genau zu wissen, daß ein tückisch
berechnendes Schicksal besonderer Art ihm zuerst den Urlaub beschert hatte,
um ihn hierauf zu vernichten. Die anderen saßen in der Kantine, begrüßten
ihn mit dem übertriebenen Jubel, der mehr ihrer Neugier, »etwas zu
erfahren«, entsprang als ihrer Herzlichkeit für den Heimgekehrten, und
fragten auch, alle gleichzeitig, wie »es« gewesen sei. Nur der Hauptmann
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik