Page - 186 - in Radetzkymarsch
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Redner. Die Versammlung war aufgelöst.
Eine Sekunde war es still. Dann brach ein einziger Schrei aus allen
Menschen. Neben den Gesichtern erschienen die weißen Fäuste der Männer,
jedes Gesicht flankiert von zwei Fäusten. Die Gendarmen schlossen sich zur
Kette. Im nächsten Augenblick war der Halbbogen der Menschen in
Bewegung. Alle liefen schreiend gegen die Gendarmen.
»Fällt das Bajonett!« kommandierte Trotta. Er zog den Säbel. Er konnte
nicht sehen, daß seine Waffe in der Sonne aufblitzte und einen flüchtigen,
spielerischen und aufreizenden Widerschein über die im Schatten liegende
Seite der Straße warf, auf der sich die Menge befand. Die Helmknäufe der
Gendarmen und ihre Bajonettspitzen waren plötzlich in der Menge
untergegangen. »Direktion die Fabrik!« kommandierte Trotta. »Zug Marsch!«
Die Jäger gingen vor, und ihnen entgegen flogen dunkle Gegenstände aus
Eisen, braune Latten und weiße Steine, es pfiff und sauste, schnurrte und
schnob. Leicht wie ein Wiesel rannte Horak neben dem Leutnant her und
flüsterte: »Lassen Sie schießen, Herr Leutnant, um Gottes willen!«
»Zug halt!« kommandierte Trotta und: »Feuer!«
Die Jäger schossen, wie die Instruktionen Major Zoglauers gelautet hatten,
die erste Salve in die Luft. Hierauf wurde es ganz still. Eine Sekunde lang
konnte man alle friedlichen Stimmen des sommerlichen Mittags hören. Und
man spürte das gütige Brüten der Sonne durch den Staub, den die Soldaten
und die Menge aufgewirbelt hatten, und durch den verwehenden leichten
Brandgeruch der abgeschossenen Patronen. Auf einmal schnitt die helle,
heulende Stimme einer Frau durch den Mittag. Und da einige in der Menge
offenbar glaubten, die Schreiende sei durch einen Schuß getroffen worden,
begannen sie neuerlich, ihre wahllosen Geschosse gegen das Militär zu
schleudern. Und den wenigen Schützen folgten sofort mehrere und schließlich
alle. Und schon sanken ein paar Jäger in der ersten Reihe zu Boden, und
während Leutnant Trotta ziemlich ratlos dastand, den Säbel in der Rechten,
mit der Linken nach der Pistolentasche tastend, hörte er an der Seite
dieflüsternde Stimme Horaks: »Schießen! Lassen Sie um Gottes willen
schießen!« In einer einzigen Sekunde rollten durch das aufgeregte Gehirn
Leutnant Trottas Hunderte abgerissener Gedanken und Vorstellungen, manche
gleichzeitig nebeneinander, und verworrene Stimmen in seinem Herzen
geboten ihm, bald Mitleid zu haben, bald grausam zu sein, hielten ihm vor,
was sein Großvater in dieser Lage getan hätte, drohten ihm, daß er im
nächsten Augenblick selbst sterben würde, und ließen ihn zugleich den
eigenen Tod als den einzig möglichen und wünschenswerten Ausgang dieses
Kampfes erscheinen. Jemand hob seine Hand, wie er glaubte, eine fremde
Stimme kommandierte aus ihm noch einmal: »Feuer!«, und er konnte noch
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik