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Radetzkymarsch
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Bezirkshauptmann, als bestünde plötzlich die ganze Welt aus Tschechen: einer Nation, die er für widerspenstig, hartköpfig und dumm hielt und überhaupt für die Erfinder des Begriffes Nation. Es mochte viele Völker geben, aber keineswegs Nationen. Und außerdem kamen verschiedene, kaum verständliche Erlässe und Verfügungen der Statthalterei betreffend eine gelindere Behandlung der »nationalen Minoritäten«, eines jener Worte, die Herr von Trotta am tiefsten haßte. Denn »nationale Minoritäten« waren für seine Begriffe nichts anderes als größere Gemeinschaften »revolutionärer Individuen«. Ja, er war von lauter revolutionären Individuen umgeben. Er glaubte sogar zu bemerken, daß sie sich in einer widernatürlichen Weise vermehrten, in einer Weise, wie sie dem Menschen nicht entspricht. Es war für den Bezirkshauptmann ganz deutlich geworden, daß die »staatstreuen Elemente« immer unfruchtbarer wurden und immer weniger Kinder bekamen, wie die Statistiken der Volkszählungen bewiesen, in denen er manchmal blätterte. Er konnte sich nicht mehr den schrecklichen Gedanken verhehlen, daß die Vorsehung selbst mit der Monarchie unzufrieden war, und obwohl er im gewöhnlichen Sinne ein zwar praktizierender, aber nicht sehr gläubiger Christ war, neigte er immer noch zu der Annahme, daß Gott selbst den Kaiser strafe. Er kam allmählich auf allerlei sonderbare Gedanken überhaupt. Die Würde, die er seit dem ersten Tage trug, an dem er Bezirkshauptmann in W. geworden war, hatte ihn zwar sofort alt gemacht. Auch als sein Backenbart noch ganz schwarz gewesen war, wäre es keinem Menschen eingefallen, Herrn von Trotta für einen jungen Mann zu halten. Und dennoch begannen die Menschen in seinem Städtchen jetzt erst zu sagen, daß der Bezirkshauptmann alt werde. Allerhand längst vertraute Gewohnheiten hatte er ablegen müssen. So ging er zum Beispiel seit dem Tode des alten Jacques und seit der Rückkehr aus der Grenzgarnison seines Sohnes nicht mehr am Morgen vor dem Frühstück spazieren, aus Angst, eines der so häufig wechselnden verdächtigen Subjekte, die bei ihm Dienst taten, könnte vergessen haben, die Post auf den Frühstückstisch zu legen oder gar das Fenster zu öffnen. Er haßte seine Haushälterin. Er hatte sie schon immer gehaßt, aber hie und da ein Wort an sie gerichtet. Seitdem der alte Jacques nicht mehr servierte, enthielt sich der Bezirkshauptmann jeder Bemerkung bei Tisch. Denn in Wirklichkeit waren seine hämischen Worte immer für Jacques gewesen und gewissermaßen Werbungen um den Beifall des alten Dieners. Jetzt erst, seitdem der Alte tot war, wußte Herr von Trotta, daß er nur für Jacques gesprochen hatte, einem Schauspieler ähnlich, der einen langjährigen Verehrer seiner Kunst im Parkett weiß. Und hatte der Bezirkshauptmann immer hastig gegessen, so bemühte er sich jetzt, schon nach den ersten Bissen den Tisch zu verlassen. Denn es erschien ihm lästerlich, den Tafelspitz zu genießen, dieweil die Würmer den alten Jacques im Grabe fraßen. Und wenn er auch dann und wann den Blick nach oben richtete, in der Hoffnung und in 204
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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