Page - 206 - in Radetzkymarsch
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geschlungene Klammer unter der kurzen, breiten Nase lag, und die
wohlgelungenen, schöngeformten, puppenhaft kleinen Ohren, die wie aus
Porzellan gemacht waren, und das brave, sonnenblonde, in der Mitte
gescheitelte Haar. »Fidel schaut er aus!« sagte Herr von Trotta zu Herrn
Nechwal. »Sind Sie zufrieden?« fragte er dann den Jungen. »Offen gestanden,
Herr Bezirkshauptmann«, erwiderte der Sohn des Kapellmeisters, »ist es
etwas langweilig!« »Langweilig?« fragte Herr von Trotta, »in Wien?!« »Ja«,
sagte der junge Nechwal, »langweilig! Schaun S’, Herr Bezirkshauptmann,
wenn man in einer kleinen Garnison dient, dann kommt’s einem gar nicht
zum Bewußtsein, daß man kein Geld hat!« Der Bezirkshauptmann fühlte sich
gekränkt. Er fand, daß es sich nicht schickte, von Geld zu sprechen, und er
fürchtete, daß der junge Nechwal auf die besseren finanziellen Verhältnisse
Carl Josephs anspielen wollte. »Mein Sohn dient zwar an der Grenze«, sagte
Herr von Trotta, »aber er ist immer gut ausgekommen. Auch bei der
Kavallerie.« Er betonte dieses Wort. Es war ihm zum erstenmal peinlich, daß
Carl Joseph die Ulanen verlassen hatte. Gewiß kamen derlei Nechwals bei der
Kavallerie nicht vor! Und der Gedanke, daß der Sohn dieses Kapellmeisters
sich etwa einbildete, dem jungen Trotta in irgendeiner Weise zu gleichen,
verursachte dem Bezirkshauptmann fast körperliche Pein. Er beschloß, »den
Musikanten« zu überführen. Er witterte geradezu Vaterlandsverrat in diesem
Jungen, dessen Nase ihm »tschechisch« erschien. »Dienen Sie gern?« fragte
der Bezirkshauptmann. »Offen gestanden«, sagte der Leutnant Nechwal, »ich
könnt’ mir einen besseren Beruf vorstellen!« »Wieso denn? Einen besseren?«
»Einen praktischeren!« sagte der junge Nechwal. »Ist es nicht praktisch, fürs
Vaterland zu kämpfen?« fragte Herr von Trotta, »vorausgesetzt, daß man
überhaupt praktisch veranlagt ist.« Es war deutlich, daß er das Wort
»praktisch« in einer ironischen Weise betonte. »Aber wir kämpfen ja gar
nicht«, entgegnete der Leutnant. »Und wenn wir einmal zum Kämpfen
kommen, ist es vielleicht gar nicht so praktisch.« »Aber warum denn?« fragte
der Bezirkshauptmann. »Weil wir bestimmt den Krieg verlieren«, sagte
Nechwal, der Leutnant. »Es ist eine andere Zeit«, fügte er hinzu – und nicht
ohne Bosheit, wie es Herrn von Trotta vorkam. Er kniff seine kleinen Augen
zusammen, so daß sie beinahe ganz verschwanden, und in einer Art, die dem
Bezirkshauptmann ganz unerträglich schien, entblößte seine Oberlippe das
Zahnfleisch, der Schnurrbart berührte die Nase, und diese glich den breiten
Nüstern irgendeines Tieres, nach der Meinung Herrn von Trottas. – Ein ganz
widerlicher Bursche, dachte der Bezirkshauptmann. »Eine neue Zeit«,
wiederholte der junge Nechwal. »Die vielen Völker halten nicht lange
zusammen!« »So«, sagte der Bezirkshauptmann, »und woher wollen Sie das
alles wissen, Herr Leutnant?« Und der Bezirkshauptmann wußte im gleichen
Augenblick, daß sein Hohn stumpf war, und er fühlte sich selbst wie ein
Veteran etwa, der seinen ungefährlichen, ohnmächtigen Säbel gegen einen
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik