Page - 217 - in Radetzkymarsch
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»Ich habe übrigens meinem Sohn geschrieben«, begann er nach einer
Weile. »Er mag tun, was ihm gefällt!«
»Das scheint mir das Richtige!« sagte Doktor Skowronnek. »Man kann
keine Verantwortung tragen! Kein Mensch darf für den andern eine
Verantwortung tragen.«
»Mein Vater hat sie für mich getragen«, sagte der Bezirkshauptmann,
»mein Großvater für meinen Vater.«
»Es war damals anders«, erwiderte Skowronnek. »Nicht einmal der Kaiser
trägt heute die Verantwortung für seine Monarchie. Ja, es scheint, daß Gott
selbst die Verantwortung für die Welt nicht mehr tragen will. Es war damals
leichter! Alles war gesichert. Jeder Stein lag auf seinem Platz. Die Straßen
des Lebens waren wohl gepflastert. Die sicheren Dächer lagen über den
Mauern der Häuser. Aber heute, Herr Bezirkshauptmann, heute liegen die
Steine auf den Straßen quer und verworren und in gefährlichen Haufen, und
die Dächer haben Löcher, und in die Häuser regnet es, und jeder muß selber
wissen, welche Straße er geht und in was für ein Haus er zieht. Wenn Ihr
seliger Herr Vater gesagt hat, aus Ihnen würde kein Landwirt, sondern ein
Beamter, so hat er recht gehabt. Sie sind ein musterhafter Beamter geworden.
Aber als Sie Ihrem Sohn sagten, er solle Soldat werden, haben Sie unrecht
gehabt. Er ist kein musterhafter Soldat!«
»Ja, ja!« bestätigte Herr von Trotta.
»Und deshalb soll man alles gehen lassen, jedes seinen eigenen Weg! Wenn
mir meine Kinder nicht gehorchen, bemühe ich mich nur noch, nicht die
Würde zu verlieren. Es ist alles, was man tun kann. Ich sehe sie mir
manchmal an, wenn sie schlafen. Ihre Gesichter scheinen mir dann ganz
fremd, kaum zu erkennen, und ich sehe, daß sie fremde Menschen sind, aus
einer Zeit, die erst kommen wird und die ich nicht mehr erleben werde. Sie
sind noch ganz jung, meine Kinder! Das eine ist acht, das andere zehn, und
sie haben runde, rosige Gesichter im Schlaf. Dennoch ist sehr viel Grausames
in diesen Gesichtern, wenn sie schlafen. Manchmal scheint es mir, daß es
schon die Grausamkeit ihrer Zeit ist, der Zukunft, die im Schlaf über die
Kinder kommt. Ich möchte nicht diese Zeit erleben!«
»Ja, ja!« sagte der Bezirkshauptmann.
Sie spielten noch eine Partie, aber diesmal verlor Herr von Trotta. »Ich
werde kein Meister!« sagte er milde und gleichsam ausgesöhnt mit seinen
Mängeln. Es war auch heute spät geworden, die grünlichen Gaslampen, die
Stimmen der Stille, surrten schon, und das Kaffeehaus war leer. Sie gingen
wieder durch den Park nach Hause. Heute war der Abend heiter, und heitere
Spaziergänger begegneten ihnen. Sie sprachen über die häufigen Regen dieses
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik