Page - 227 - in Radetzkymarsch
Image of the Page - 227 -
Text of the Page - 227 -
unbezwinglichen Leidenschaft eines Forschers. Am Bettpfosten, hinter
seinem Rücken, hing der Säbel, seine Waffe, der Gegenstand seiner
militärischen und privaten Ehre und in diesem Augenblick
merkwürdigerweise auch ein magisches Instrument, geeignet, das Gesetz
unheimlicher Gespenster zu enthüllen. Er fühlte den blinkenden Säbel im
Rücken und eine Art magnetischer Kraft, die von der Waffe ausging. Und,
gleichsam von ihr angezogen, machte er rückwärts einen Satz, den Blick auf
den fortwährend zerfallenden und sich wieder zusammensetzenden Kapturak
gerichtet, ergriff mit der Linken die Waffe, zog mit der Rechten blitzschnell
die Klinge, und während Kapturak einen Sprung zur Tür machte, die Mütze
seinen Händen entfiel und vor den grauen Leinenschuhen liegenblieb, folgte
ihm Trotta, den Säbel zückend. Und ohne daß der Leutnant wußte, was er tat,
hielt er die Spitze der Klinge gegen die Brust des grauen Gespenstes, fühlte
durch die ganze Länge des Stahls den Widerstand der Kleider und des
Körpers, atmete auf, weil ihm endlich erwiesen schien, daß Kapturak ein
Mensch war – und konnte dennoch nicht die Klinge sinken lassen. Es war nur
ein Augenblick. Aber in diesem Augenblick hörte, sah und roch Leutnant
Trotta alles, was in der Welt lebte, die Stimmen der Nacht, die Sterne am
Himmel, das Licht der Lampe, die Gegenstände im Zimmer, seine eigene
Gestalt, als trüge er sie nicht selbst, sondern als stünde sie vor ihm, den Tanz
der Mücken um das Licht, den feuchten Dunst der Sümpfe und den kühlen
Hauch des nächtlichen Windes. Auf einmal breitete Kapturak die Arme aus.
Seine mageren, kleinen Hände krallten sich am linken und am rechten
Türpfosten fest. Sein kahler Kopf mit den geringelten, grauen Härchen sank
auf die Schulter. Gleichzeitig setzte er einen Fuß vor den andern und
verschlang die lächerlichen, grauen Schuhe zu einem Knoten. Und hinter ihm,
an der weißen Tür, erhob sich vor den erstarrten Augen Leutnant Trottas auf
einmal schwarz und schwankend der Schatten eines Kreuzes.
Trottas Hand zitterte und ließ die Klinge fallen. Mit einem leisen,
klirrenden Wimmern fiel sie nieder. Im gleichen Augenblick ließ Kapturak
die Arme sinken. Sein Kopf rutschte von der Schulter und fiel vornüber auf
die Brust. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Lippen zitterten. Sein ganzer
Körper zitterte. Es war still. Man hörte das Flattern der Mücken um das
Lampenlicht und durch das offene Fenster die Frösche, die Grillen und
dazwischen das nahe Bellen eines Hundes. Leutnant Trotta wankte. Er kehrte
um. »Setzen Sie sich!« sagte er und wies auf den einzigen Stuhl im Zimmer.
»Ja«, sagte Kapturak, »ich will mich setzen!«
Er ging munter an den Tisch, munter, als wenn nichts geschehen wäre, wie
es Trotta vorkam. Seine Fußspitze berührte den Säbel am Boden. Er bückte
sich und hob ihn auf. Als hätte er die Aufgabe, Ordnung im Zimmer zu
227
back to the
book Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik